Ein verführerischer Akt
Überblick ermöglichte. Sie seufzte vor Erleichterung, während sie eine frische Schürze umband.
Schon bald war sie zu beschäftigt, um überhaupt noch an Julian zu denken. Die Tische waren voll mit hungrigen Menschen, und sie tat ihr Bestes, um sie schnell zu versorgen. Was in der Regel funktionierte, weil die wenigen zur Auswahl stehenden Gerichte ohnehin vorgekocht waren. Jedenfalls musste sie sich sputen, und es dauerte nicht lange, bis ihr die Arme vom Tragen der Tabletts schmerzten. Hinzu kam, dass sie am Morgen schon Wasser geschleppt hatte, und bald tat vom Bücken auch ihr Rücken weh. Trotzdem war sie sehr zufrieden, endlich etwas Nützliches tun zu können.
Jedes Mal, wenn sie in Julians Richtung schaute, stellte sie fest, dass er sie aus halb geschlossenen Augen beobachtete. Schon mehrfach hatte sie ihm Bier gebracht, und sie fand, dass es langsam reichte, obwohl er nicht betrunken wirkte. Hingegen war ihm deutlich anzumerken, dass es ihm überhaupt nicht passte, sie im Schankraum als Bedienung zu sehen.
Rebecca merkte jetzt selbst, dass es abends nicht mehr ganz einfach war für sie. Morgens saßen Männer an den Tischen, die zur Arbeit mussten, oder Reisende, die mit dem nächsten Fuhrwerk oder der Postkutsche weiterwollten, darunter ein paar Frauen. Jetzt am Abend aber war sie die einzige Frau unter ausgelassenen Männern, die erpicht darauf waren, sich nach einem langen Arbeitstag zu entspannen, den neusten Klatsch und Tratsch auszutauschen und sich die Zeit mit einer Runde Dart, Schach oder Dame zu vertreiben. Und ein Teil ihrer Zerstreuung bestand leider darin, sie unverhohlener anzustarren, als ihr angenehm war. Das duldete sie nur bei Julian.
Jedes Mal, wenn sie ihm etwas zu trinken brachte, beugte sie sich über ihn, drückte ihren Busen an seine Schulter und lächelte ihn an, um ihn zu besänftigen. Er musterte sie zwar argwöhnisch, ließ sie jedoch gewähren, denn schließlich hielten ihn alle für ihren Ehemann. Und außerdem lief das nun mal so beim einfachen Volk. Diese Art von Koketterie traf man bestimmt nicht in einem Londoner Ballsaal an, wo man die Kunst, die Aufmerksamkeit eines Kavaliers allein durch die Haltung seines Fächers auf sich zu ziehen, fast bis zur Perfektion entwickelt hatte. Das hier war sinnlich derb und unbestreitbar erregend. In London erfuhr eine Frau unter Umständen nie, ob ein Mann interessiert war, außer er besuchte sie, um ihr im Salon züchtig gegenüberzusitzen und sich über das Wetter zu unterhalten. Und ein derart begrenzter Austausch sollte einem alles sagen?
Nein, dort hätte sie Julian nie so kennengelernt wie in dieser fremden Welt, in der sie sich seit ein paar Tagen bewegten. Sie glaubte alles über ihn zu wissen, konnte seine Blicke deuten, die über ihren Körper glitten, seine Berührungen, wenn er wie jetzt gerade seinen Arm um ihre Taille legte und ihr mit jeder Geste zeigte, dass sie ihm gehörte. Sie hätte es nie gedacht, doch sie genoss es – wenngleich es nur vorübergehend war, wie sie sich in Erinnerung rief. Eine leichte Wehmut wollte sie übermannen, aber sie verdrängte die Gedanken an das Ende. Noch war es nicht so weit, und zudem dauerte jedes Abenteuer lediglich eine begrenzte Zeit. Es war unsinnig, in Trauer zu versinken.
Julians Anwesenheit sorgte auf jeden Fall dafür, dass sie sich völlig entspannt zwischen all diesen rüden Fremden bewegte. Sie nahm die plumpe Vertraulichkeit, wie sie gemeint war … Die Männer wollten sich einfach ein bisschen amüsieren, und sie war nun mal ein neues Gesicht. Lachend stieß sie mitunter auf Wanderschaft gehende Hände weg und wurde trotzdem einmal in den Po gekniffen. Schnell schaute sie zu Julian hin, ob er es bemerkt hatte, was zum Glück nicht der Fall zu sein schien. Sie seufzte erleichtert auf.
»Ich weiß, dass dir das gefällt«, sagte der Mann mit dem Schnurrbart, der sie gekniffen hatte, und brach dann mit seinen Kumpanen in schallendes Gelächter aus.
Sie hielt immer noch den Bierkrug in der Hand, den sie ihm hatte servieren wollen. »Sie wollen doch wohl nicht, dass ich Ihnen das hier über den Kopf gieße, oder?«
»Das is ’ne ganz Temperamentvolle, Wilfred«, meinte ein anderer, nahm seine Mütze ab und strich sich über seine roten Locken. »Zeig uns mal, wie du tanzt.«
Sie sah, wie die Augen des Mannes ganz groß wurden, denn wie aus dem Nichts war plötzlich Julian aufgetaucht, und seine Hand legte sich schwer auf ihre Schulter.
»Meine Frau tanzt nicht.«
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