Ein verführerischer Akt
optimistisch sein. Unter Umständen wusste Julian gar nicht, wie man sich richtig prügelte, außer er hatte das von den Dorfjungen gelernt.
Offenbar, denn er stürzte sich auf Wilfred, verpasste ihm einen Hieb in den Magen, und als sein Gegner sich krümmte, boxte er ihn sicherheitshalber auch noch ins Gesicht. Zwei Schläge, und Wilfred lag stöhnend am Boden.
Julian war also doch ein Kämpfer. Sie strahlte vor Freude.
»Ich hoff, das wird dir ’ne Lehre sein, Wilfred«, sagte der Wirt und ging kopfschüttelnd wieder nach drinnen.
Die Menge murrte enttäuscht und wandte sich ab. Nur einer schöpfte mit einem Eimer Wasser aus der Pferdetränke und schüttete es dem Unterlegenen ins Gesicht.
Rebecca eilte zu Julian, der neben seinem Gegner stand und mit in die Hüften gestützten Fäusten auf ihn herabblickte. »Wie geht es dir, Ernest?«, fragte sie ihn.
»Mir geht’s gut.« Er packte ihren Arm und führte sie wieder nach drinnen.
Als er am Schankraum vorbei und nach oben gehen wollte, sträubte sie sich gegen seinen Griff. »Ich habe ein Versprechen gegeben und werde bis zum Ende bleiben.«
Er sah zur Uhr, die auf dem Kaminsims stand, und fragte den Wirt, der zu ihnen getreten war: »Wie lange noch?«
Der kniff die Augen zusammen, als habe er Schwierigkeiten, in die Ferne zu schauen. »Noch ’ne Stunde.«
»Na gut«, meinte Julian. »Aber wenn irgendein Mann sie auch nur schief anguckt …«
»Wer würd das jetzt noch wagen?«, entgegnete der Wirt mit einem bedeutsamen Blick.
Julian nahm also wieder seinen Platz ein, und Rebecca ließ ihn nicht aus den Augen, während sie weiter an den Tischen bediente. Eigentlich hatte sie gedacht, er müsste jetzt recht zufrieden und gelassen sein, doch das war er ganz und gar nicht. Er musterte sie unter halb geschlossenen Lidern, und seine Lippen bildeten einen schmalen Strich. Er wirkte nicht wütend, aber sie wusste nicht so recht, was gerade in ihm vorging.
Weitere Zwischenfälle jedenfalls gab es nicht, denn die Männer behandelten sie jetzt ausgesprochen respektvoll, und die Stunde verging ohne Vorkommnisse. Auch waren die meisten Gäste bereits gegangen, weil sie am nächsten Tag wieder zur Arbeit mussten. Als dann die letzten ihr Bier austranken, nickte ihr der Wirt zu, und Julian stand sofort auf.
»Ich dank Ihnen, Lucy«, sagte der Wirt. »Sie brauchen heut Nacht nix für Ihr Zimmer bezahlen.«
»Danke«, sagte sie erfreut und ergriff Julians Arm. »Ich bin so weit.«
Rebecca befand sich in Hochstimmung. Wegen des Abenteuers als solchem, weil sie sich getraut hatte, aus London davonzulaufen, weil sie noch immer bei Julian war und weil sie endlich etwas zum Lebensunterhalt beigetragen hatte. Wenn sie ihr Schicksal selbst in die Hand nahm, dann erreichte sie ihr Ziel – so lautete ihr Resümee der letzten Tage. Und genauso würde sie heute Nacht vorgehen und nicht mehr darauf warten, dass Julian Delane freiwillig sein Ehr- und Pflichtgefühl über Bord warf. Auf Biegen und Brechen, es war so weit. Ihre vielen Krankheiten hatten sie gelehrt, Gelegenheiten beim Schopf zu packen, weil man nicht wusste, was passierte … Das Warten hatte ein Ende.
Sie stiegen die knarrende Holztreppe hoch, die nur von der Kerze erhellt wurde, die Julian in der Hand hielt. Sie hatte sich bei ihm eingehängt und spürte seine Anspannung. Sie würde vorsichtig vorgehen und eine Möglichkeit finden müssen, seine Verärgerung in Leidenschaft zu verwandeln.
Sobald sie in ihrem Zimmer angekommen waren, stellte er die Kerze in den Halter auf dem Tisch, während sie die Tür schloss und sich dagegenlehnte. Sie wusste nicht so recht, wie sie die Verführung angehen sollte, und so ließ sie ihren Blick erst einmal über seinen Körper gleiten, stellte sich vor, ihn zu berühren und alles zu sehen, was er bisher vor ihr verborgen hatte. Eine köstliche Schwere breitete sich in ihren Gliedern aus, und ihr Herzschlag beschleunigte sich vor freudiger Erwartung. Heute würde sie sich nicht zurückweisen lassen.
Ehe sie jedoch auch nur einen Schritt auf ihn zumachen konnte, packte er ihre Arme und zog sie an sich. Völlig verdutzt sah sie mit offenem Mund zu ihm auf.
»Du gehörst mir«, raunte er heiser.
Und dann küsste er sie. Angesichts der Glut seines Verlangens und der Erleichterung, die sie bei diesen Worten durchströmte, wäre sie beinahe in Verzückung geraten. Und erst sein Kuss! Leidenschaftlich und besitzergreifend erforschte er ihren Mund mit seiner Zunge, während er
Weitere Kostenlose Bücher