Ein verfuehrerischer Handel
unbestreitbarer Autorität. In Wirklichkeit fiel es ihr schwer, sich vorzustellen, dass er jemals etwas anderes als ein Graf gewesen war.
Sie sprachen nur wenig auf dem Weg aus der Stadt, und schließlich begann Ariel, an der Umgebung Gefallen zu finden. Sie kannte sich nicht aus, war immer in der Nähe des Hauses geblieben, und mit Phillip nur in den Park gefahren. Sogar der letzte Einkaufsbummel mit dem Grafen hatte ihren Radius nicht sehr erweitert.
Doch jetzt, als sie durch den dichten Verkehr fuhren, beobachtete sie mit wachsender Faszination die Horden von Menschen in den engen Straßen, Tintenverkäufer, Balladensänger, einen Mann, der gebrauchte Kleidung verkaufte.
Ein verwahrloster Junge mit einem schmutzigen Gesicht und kleinen Fingern, die aus den Enden seiner zerrissenen Handschuhe hervorlugten, verkaufte Äpfel an einer Straßenecke. Kutschen in allen Größen und Formen polterten über das Kopfsteinpflaster; die schreienden Kutscher und wiehernden Pferde machten einen Heidenlärm.
Das bunte Treiben und die Geräusche nahmen Ariel gefangen, ließen sie für einen Augenblick die nebelhaften Umstände ihrer Reise vergessen.
Doch als dann die tiefe Stimme des Grafen sie aus ihren
Betrachtungen riss, wurde sie wieder daran erinnert, dass sie allein mit ihm war und den, nun ja, doch auch zweifelhaften Schutz der Stadt verließ.
»Ich muss noch einmal anhalten, ehe wir London verlassen. Es wird nicht lange dauern.«
Ein paar Minuten später bogen sie um eine Ecke, und die Kutsche hielt vor einem dreistöckigen Gebäude in der Threadneedle Street. »Ihr könnt gern mitkommen zu meinem Anwalt - wenn Ihr mögt!«
Sein Angebot überraschte sie. Sie wollte ablehnen, doch dann dachte sie, warum nicht ? Immerhin reiste sie mit diesem Mann ... wenn auch nicht aus freien Stücken. Jede Information, die sie über ihn bekommen konnte, könnte sich später als nützlich erweisen. »Danke. Ja, das tue ich.«
Er nahm ihre Hand und half ihr den Wagentritt herunter, dann betraten sie zusammen das Gebäude. Ein junger Angestellter mit sandfarbenem Haar führte sie den Korridor entlang, in ein schön möbliertes Büro mit Holzvertäfelung.
»Mein Anwalt, Jonathan Whipple!« Der Graf senkte den Kopf und deutete so auf den grauhaarigen Mann, der sich hinter seinem Schreibtisch erhob und auf sie zukam. Er war ein schlanker Mann, etwa fünfzig Jahre alt, mit einer breitrandigen Brille, die auf einer langen, gebogenen Nase saß. »Jonathan ... darf ich Euch Miss Summers vorstellen! Sie ist neu in der Stadt.«
»Erfreut, Miss Summers!« Er lächelte, verbeugte sich förmlich und richtete dann seine Aufmerksamkeit auf den Grafen. »Ich habe die gewünschten Zahlen, Mylord. Gerade bin ich bei den letzten Additionen ...« Die beiden Männer wandten sich dem Schreibtisch zu und überließen es Ariel, sich in Mr. Whipples Kanzlei umzuschauen.
Es war gemütlich und warm, ein Feuer knisterte in dem mit Eichenholz verkleideten Kamin, an einer Wand standen
Bücherregale. Ein Stapel Zeitungen lag neben einem braunen Ledersessel, doch sonst war der Raum recht spartanisch eingerichtet und makellos sauber. Ihr kam der Gedanke, dass das dem Grafen entsprach - streng und perfekt. Es schien, als würde er diese Eigenschaften auch von den Menschen verlangen, die für ihn arbeiteten.
Ariel ging an dem Bücherregal entlang und näherte sich dem großen Schreibtisch, der mitten im Raum stand; dabei betrachtete sie die zahlreichen in Leder gebundenen Bücher, von denen die meisten finanzielle Themen behandelten. Aus dem Augenwinkel sah sie den Grafen, der auf einem Stuhl neben dem Schreibtisch saß und den dunklen Kopf über mehrere offene Geschäftsbücher gebeugt hielt.
Arithmetik war in der Schule ihr bestes Fach gewesen. Sie merkte, dass er die Zahlen auf der Seite vor sich studierte, und begann, die Reihe im Kopf zu addieren, so wie sie es gelernt hatte.
Die junge Dame runzelte die Stirn. »Entschuldigt, Mylord, aber in der Reihe rechts versteckt sich ein Fehler.«
Er schaute mit gelüfteter Braue auf. »Es beruhigt mich, dass Ihr zusammen mit Euren sonstig erworbenen Fähigkeiten auch ein Experte in Buchhaltung seid.«
Bei dem Sarkasmus in seiner Stimme errötete sie, doch weigerte sie sich, klein beizugeben. »Nein, von Buchhaltung verstehe ich nur sehr wenig. Ich weiß aber, dass diese Zahlen nicht richtig addiert sind. Die Summe sollte zweitausendsechshundertsechsundsiebzig sein und nicht
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