Ein verführerischer Pakt
Plötzlich sprang sie Lily an. "Du Hexe!" schrie sie. "Das ist alles deine Schuld! Sieh nur, was du angerichtet hast!"
Lily wich gerade noch rechtzeitig aus, so dass Bernadette nicht mit ihrem vollen Gewicht auf ihr landete. Doch packte sie Lily noch am Ärmel und riss sie mit sich zu Boden. Guy stürzte nach vorn, um die beiden zu trennen, aber die alte Baroness hatte sich mit Lily zur Seite gerollt und hielt sie eisern umklammert. Guy sah keinen anderen Ausweg. Er griff nach Bernadettes Haar und zog kräftig daran. Es gab nach. Verdutzt sah er auf die Perücke in seiner Hand, doch im selben Moment streckte Clives Mutter auch schon die Hand danach aus. Lily ballte ihre dadurch frei gewordene Hand zur Faust, und Guy beobachtete, wie sie ihrer einstigen Schwiegermutter einen Schlag mitten ins Gesicht verpasste, der jedem Berufsboxer zur Ehre gereicht hätte. Die ältere Frau fiel hintenüber, und Lily stand unsicher auf. Mit schmerzerfüllter Miene rieb sie sich die Faust. Duquesne zog sie rasch fort von Bernadette, die sich jetzt am Boden wand, nach ihrer blutigen Nase fasste und in das Heulen einer Wahnsinnigen ausbrach.
Der Konstabler schmunzelte zufrieden und wies mit dem Finger in Richtung der beiden muskelbepackten Hilfspolizisten, die er mitgebracht hatte. Sie zogen die sich heftig wehrende Baroness wieder auf die Beine. "Lady Bernadette Bradshaw, Sie sind verhaftet", verkündete Frick. "Führen Sie sie ab."
Die alte Frau schrie aus Leibeskräften, sie war noch lange zu hören, auch als sich die Türen des Ballsaals längst hinter ihr geschlossen hatten.
"Einen Moment noch, Konstabler." Galen legte die Papiere, die vor ihm lagen, zu einem ordentlichen Stapel zusammen. "Wir müssen immer noch über den Zustand von Lady Lillian urteilen."
"Schicken Sie sie mit ihrem Gemahl nach Hause", meinte Frick mit einer wegwerfenden Handbewegung. Er wandte sich an die Ausschussmitglieder. "Es sei denn, einer von Ihnen ist anderer Auffassung."
"Und was wird aus dem Earl?" beharrte Galen.
"Er wird entlassen, natürlich in Lord Duquesnes Obhut", erwiderte Frick.
"Irgendwelche Einwände?" Galen wandte sich an die Ausschussmitglieder. Es gab keine. Die Männer saßen immer noch mit großen Augen und herabhängenden Kinnladen da, sie waren viel zu schockiert von den Ereignissen, um ein Wort hervorbringen zu können. Sie schüttelten nur unisono die Köpfe.
Guy hielt Lily längst im Arm, und seine andere Hand ruhte auf Beaus Schultern.
"Was ist mit Onkel Clive?" fragte der Junge und zeigte auf die nach wie vor regungslos daliegende Gestalt.
Der rundliche Konstabler ging zu Lilys Schwager hinüber, packte ihn am Kragen und zog ihn hoch. "Sie werden mir noch einige Fragen beantworten müssen, ehe ich Sie einsperre!"
"Ich habe nichts getan!" protestierte Clive lallend. "Ich bin unschuldig, ich schwöre es!"
"Wollen wir doch mal sehen, ob Sie das beweisen können", erwiderte Guy lächelnd. Ihm war aufgefallen, dass Dr. Ephriam während Bernadettes Angriff auf seine Frau verschwunden war. Er konnte nicht weit kommen. Dafür würde Frick schon sorgen.
Lily strich ihre zerzausten Locken nach hinten und ging vor ihrem Sohn in die Hocke, um ihn zu umarmen. "Beau, es tut mir so Leid wegen deiner Großmutter. Sie ist offensichtlich …"
"Verrückt", vollendete Beau ihren Satz und nickte kräftig. "Ich glaube, ich habe ihr den Sherry mit der Substanz gegeben."
Guy konnte über die Unverwüstlichkeit von Kinderseelen nur staunen. Dem Blick nach zu urteilen, den Lily ihm zuwarf, würde sie ihn sich wohl vornehmen, weil er den Jungen in diese Sache mit hineingezogen hatte, um den Bradshaws ein Geständnis abzuringen. Guy rechnete fest mit einer Maßregelung, zweifelte aber, dass sie das in aller Öffentlichkeit tun würde. Vielleicht hatte es doch Vorteile, mit einer auf Anstand bedachten Dame verheiratet zu sein.
Andererseits … Ihr Anstand hatte sie jedenfalls nicht davon abgehalten, Bernadette mit einem vollendeten Fausthieb niederzustrecken. Er unterdrückte ein Lächeln.
"Warte, bis ich mit dir allein bin!" warnte sie ihn zähneknirschend. Ihre Augen versprühten blaue Funken. Er war sehr froh, dass sie nicht diese Reitstiefel trug, mit denen sie in jener Nacht ihren Bewacher ausgeschaltet hatte. Ihre kleinen Fäuste waren gefährlich genug.
"Ich warte", erwiderte er und beschloss, ihre Strafpredigt anstandslos über sich ergehen zu lassen. Wenn er ehrlich war, freute er sich sogar darauf. So liebte er Lily am meisten.
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