Ein verführerischer Schuft
schon mit einem Kuss gerechnet, aber nicht mit so einem. Eine Berührung der Lippen, nicht so ein heißhungriger intimer Austausch von Zärtlichkeiten. Mit lauen Küssen kam sie zurecht, aber hiermit? Das hier war unerforschtes Land für sie, unbekannt und gefährlich, aber sie durfte sich auf keinen Fall - wirklich unter keinen Umständen - ihre Unschuld und ihre Unerfahrenheit anmerken lassen.
Egal, wie sehr ihre Sinne in Wonne vergingen, gleichgültig, dass ihr Verstand in Schockstarre verharrte.
Sie hatte nichts, wonach sie sich richten konnte … außer ihm. In ihrer Verzweiflung ahmte sie nach, was er mit seiner Zunge anstellte; sogleich spürte sie, dass ihm das gefiel. Innerhalb von Sekunden waren sie in ein sinnliches Duell verstrickt, aus Vordringen und Zurückziehen.
Mit Lippen und Zungen, Hitze, Weichheit und faszinierender Angriffslust, geteiltem Atem und - wundersamerweise - geteiltem Verlangen.
Es erfasste sie, zerrte an ihrem Verstand, zog sie nach unten - und hielt sie gefangen.
Er drückte sie fester an sich, eine Hand glitt über ihren Rücken, verweilte auf ihrem Po, dann hob er sie an und presste sie gegen sich.
Gefühle breiteten sich wie Schockwellen über ihre Haut aus, ließen sie prickeln, heiß werden; sie klammerte sich fest, fühlte, wie die Welt sich drehte.
Und sie war von seiner Kraft umschlungen, seiner Stärke, die jeden Knochen in ihrem Leib zu schwächen schien, die Hitze versprach und Flammen, die so schwindelerregend wonnevoll waren, dass sie darin am liebsten gebadet hätte, sich ihnen ergeben und sich von ihnen verzehren lassen.
Auf einer gewissen Ebene war das angsteinflößend, aber sie konnte sich nicht zurückziehen - hatte genug Verstand, um zu wissen, dass sie sich jetzt nicht der Panik überlassen, nicht einfach entsetzt weglaufen durfte.
Sie gab schließlich vor, eine Witwe zu sein. Sie musste hier stehen bleiben, sich nicht wehren - wenn sie das denn gewollt hätte - und darauf antworten, als wisse sie, was das alles bedeutete.
Schließlich ließ seine Heftigkeit etwas nach, die Spannung, die ihn gefangen gehalten hatte, wich Stück für Stück aus ihm - gezügelt und zurückgenommen. Sie umklammerte seine Arme und konnte dieses Zurückziehen spüren; der Kuss wurde milder und sanfter, blieb aber intim, Lippen, die neckten, streichelten … mehr wollten.
Dann hob er doch den Kopf, aber nicht weit.
Ihre Lippen fühlten sich geschwollen an und heiß; unter halb gesenkten Wimpern schaute sie ihn an. Seine schwarzen Augen waren auf sie gerichtet, suchten ihren Blick, hielten ihn fest - dann seufzte er. Beugte sich vor und berührte mit seinen Lippen ihren Mundwinkel.
»Das hier hatte ich nicht geplant. Da waren Leute auf dem Flur. Es war gefährlich …«
Die mit tiefer Stimme gesprochenen Worte strichen über ihre Wange; eine Welle aus Gefühlen, heiß und unvermittelt, spülte über sie hinweg.
»Ich wollte mich eigentlich entschuldigen …« Er machte eine Pause, hob den Kopf. Wieder sah sie ihm in die Augen; wieder hatte er nur darauf gewartet. Etwas Raubtierhaftes loderte in der Schwärze auf, dann sprach er weiter:
»Nicht hierfür. Nicht für irgendetwas, das ich getan oder geäußert habe, sondern dafür, wie das, was ich im Park gesagt habe, geklungen hat.«
Seine Stimme war immer noch leise, leicht heiser, entlockte ihr etwas - irgendeine Antwort.
Ihr Blick war zu seinen Lippen geglitten; seine Hand in ihrem Rücken spannte sich, und sie schaute wieder hoch, merkte mit großen Augen, wie die Hitze zwischen ihnen wieder aufflammte.
Er fing ihren Blick auf, hielt ihn fest.
»Ich bin nicht Ruskin. Ich werde dir nie wehtun oder dir schaden wollen.« Er zögerte, dann fuhr er fort.
»Selbst dies hier - das habe ich nicht geplant.«
Dies. Er hielt sie immer noch eng an sich gedrückt, nicht mehr so fest wie vorhin, aber ebenso schamlos. Nur Liebespaare sollten sich so nahe sein, dessen war sie sich sehr sicher. Aber sie wagte es nicht, ihn von sich zu schieben, sich von ihm zu lösen und rang stattdessen darum, die Wärme nicht weiter zu beachten, die die Umarmung durch ihren Körper sandte. Was vorher irgendwann geschehen war, schien ihr nicht länger wirklich wichtig.
»Also …« Sie brach ab, entsetzt über den Klang ihrer Stimme, leicht rau, irgendwie sinnlich. Sie befeuchtete die Lippen, bemühte sich um einen möglichst normalen Tonfall, aber das gelang ihr nicht vollends.
»Was hattest du denn geplant?« Sie schaute ihm in die Augen,
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