Ein verfuehrerischer Tanz
ein wenig, er war nun einmal menschenscheu. Aber er hätte vorhin nicht gehen müssen. Ihm war weder schwindelig noch kündigte sich eine Panikattacke an. Offen gestanden hatten ihn die Gäste heute Abend ziemlich kaltgelassen.
Wie alle anderen war er fasziniert von seiner Frau.
»Was machst du denn hier oben?«, ertönte eine Stimme hinter ihm.
Er drehte sich um.
»Das Gleiche könnte ich dich fragen.«
»Ich will mir auch das Fest von oben anschauen, was sonst?« Claudia trat neben ihn, und sie blickten über die Brüstung auf die Tanzfläche. »Mir war langweilig mit Bea Grantham. Das Mädchen ist eine dumme Pute.«
»Ich dachte, sie ist in deinem Alter?«
»Mag sein, aber sie hat nur Stroh im Kopf.« Sie stützte sich auf die Balustrade. »Amelia sieht heute Abend wirklich hübsch aus.« In ihrer Stimme schwang Verblüffung mit.
»Ja, das stimmt.«
Jetzt hatte er die Antwort auf seine Frage.
Hätte ihn auf dem Ball, auf dem er Amelia d’Orsay kennenlernte, jemand gebeten, sie zu beschreiben, hätte er sie als schlichtes Gemüt charakterisiert. Bestenfalls als unauffällig. Am Morgen danach hatte er sie ganz passabel gefunden, im Sonnenlicht sogar recht hübsch. Nichtsdestoweniger hatte er sie von Anfang an anziehend und sinnlich gefunden.
Als sie sich jedoch vorhin in ihrer Suite vor ihm gedreht hatte, in diesem Kleid … Alle Achtung. Da hatte es ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Ihm hatte das Herz gestockt, in seiner Brust zog sich etwas zusammen. Mit einem Schlag hatte er kapiert, dass Amelia eine bildschöne Frau war. Woran mochte sein plötzlicher Sinneswandel liegen? Er zerbrach sich schon den ganzen Abend den Kopf … hatte er sich verändert oder sie?
Jetzt hatte er die Antwort. Sie war es. Vielleicht hatte sie sich gar nicht verändert, sondern war schlicht zu einer wahren Schönheit aufgeblüht.
»Die Gentlemen reißen sich um sie, nicht? Vielleicht sollte ich mir von ihr ein paar Ratschläge holen«, scherzte Claudia.
Sein Magen krampfte sich zusammen. Seit Amelia angedeutet hatte, Claudia sei womöglich neidisch auf ihre Heirat, hatte er ein mulmiges Gefühl. Obwohl er unschlüssig war, ob seine Frau Recht hatte, wollte er dem Mädchen nicht auf den Zahn fühlen. Denn er wusste nicht, wie er mit Claudia umgehen sollte. Nicht dass er sich früher geschickter angestellt hätte. Doch nun war sie aufmüpfig und in einem schwierigen Alter. Sie wurde erwachsen und allmählich flügge. Leider.
»Es ist spät geworden. Du musst ins Bett«, bemerkte er.
Sie seufzte ärgerlich.
»Willst du mich eigentlich ewig wie ein kleines Kind behandeln?«
»Ja, schließlich bin ich dein Vormund.« Als sie schmollte, sagte er mit Nachdruck: »Gute Nacht.«
Kaum war Claudia weg, hielt er wieder unten nach Amelia Ausschau. Das war nicht weiter schwer. Wie üblich war sie umringt von einer Horde schmachtender Gentlemen.
Dass er nicht der Einzige war, der Amelia bewunderte, missfiel ihm. Es mochte aberwitzig sein, aber ihm wäre es bedeutend lieber gewesen, sie hätte keine andere Alternative gehabt, als ihn zu heiraten. Dann bräuchte er sich wenigstens keine Sorgen zu machen, dass er sie an einen anderen Mann verlieren könnte.
Er trank noch einen Schluck Brandy. Heute Abend machte er sich ernsthaft Sorgen. Als er hinter dem Paravent ihren Blick auffing, hatte in ihren Augen dieser herzerschütternde zweifelnde Ausdruck gelegen. Hatte sie denn gar keine Ahnung, wie viel sie ihm bedeutete? Verdammt, er war nur ihretwegen hier auf diesem Ball in Oxfordshire. Das musste ihr doch klar sein.
Offenbar reichte das nicht. Es ging kein Weg daran vorbei. Behutsam musste er ihr auf die Sprünge helfen, denn er wollte nichts übers Knie brechen und hatte sich eigentlich geschworen, sich nie und nimmer jemandem zu öffnen …
Spencer fasste sich ein Herz.
Er ging die Stufen hinunter und betrat in dem Moment den Saal, als die ersten Takte eines langsamen Walzers ertönten. Soeben wurde Amelia von einem Herrn aufgefordert – von irgendeinem Landjunker aus der Gegend, dessen Name Spencer wieder entfallen war –, aber das kümmerte ihn nicht.
»Ich glaube, das ist mein Tanz«, sagte er und schob ihren Partner beiseite.
Amelia warf ihrem Mann einen vorwurfsvollen Blick zu, doch der Landadlige hatte sich bereits entfernt. Spencer führte sie auf die Tanzfläche.
»Ist es denn schon Mitternacht?«, scherzte sie.
»Noch nicht.« Er schwebte mit ihr durch den Saal. »Ich schulde dir noch die Antwort von
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