Ein verfuehrerischer Tanz
frühsommerlichen Charme erstrahlte. Durch das Kutschenfenster erspähte sie weite Flächen fruchtbaren Ackerlands, dazwischen Scheunen, hübsche kleine Cottages und grüne Parklandschaften. Dann erreichten sie das eigentliche Anwesen, das von hohen, akkurat geschnittenen Hecken umgeben war. Die Gärten und das schöne alte Gutshaus, dem sie jetzt als Herrin vorstand, waren bestimmt genauso gepflegt.
Amelia war nie gern verreist. Das holprige Auf und Ab der Kutsche verursachte ihr Übelkeit, die sich durch das warme Wetter bloß noch verschlimmerte. Am ersten Tag war das Schaukeln noch erträglich gewesen, aber je weiter sie sich von London entfernten, umso schlechter wurden die Straßen. Die starken Regenfälle im späten Frühjahr hatten gefährlich tiefe Furchen hinterlassen. Ihr tat alles weh, ihre Muskeln waren steif vom langen Sitzen und weil sie sich krampfhaft festhalten musste. In ihrem dröhnenden Kopf hatte sich ein dumpfer monotoner Schmerz ausgebreitet. Ihr Kleid – ein feines mokkabraunes Reisekostüm, wie es vor zwei Jahren modern gewesen war – war zerknittert und mit einer dünnen Staubschicht bedeckt.
Ich sehe gewiss mitleiderregend aus, dachte sie trübsinnig.
Als die Kutsche um die Ecke und in die gepflasterte Auffahrt bog, nahm Amelia in der Ferne die Ziegel- und Sandsteinfassade des Haupthauses wahr. Sie kniff sich hastig in die Wangen, schob sich ein paar vorwitzige Strähnen hinter die Ohren, damit sie halbwegs passabel aussah, wenn sie Spencer wiedersah.
Wie sollte sie sich ihm gegenüber nur verhalten? Bei dem bloßen Gedanken stieg eine heiße Röte in ihre Wangen. Nach dem, was gestern Nacht passiert war … in dem Gasthof. Jene zehn Minuten auf seinem Schoß waren ein erotischer Überfall auf ihre Sinne gewesen. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Und sein glutvolles Verlangen war bestimmt nicht gespielt gewesen. In seinen Armen hatte sie sich hübsch und begehrenswert gefühlt. Bis er dieses abendliche Vergnügen abrupt abgebrochen und sie verwirrt und frustriert zurückgelassen hatte. Hatte er wirklich zu seinem Wort stehen wollen, oder wollte er sie dafür bestrafen, dass sie seiner Libido einen zeitlichen Riegel vorschob?
Der Kutschenverschlag wurde aufgerissen, grelles Sonnenlicht fiel in das mit Samt und Leder ausgekleidete Interieur, und ihre Kopfschmerzen wurden nahezu unerträglich. Kaum dass sie die Hand des Dieners ergriff und aus der Kutsche stieg, merkte Amelia, dass es nicht an den gleißenden Sonnenstrahlen lag, sondern an dem weiß schimmernden Marmorportal von Braxton Hall, das das Licht reflektierte.
Sie blinzelte und schirmte ihre Augen mit der Hand ab. Das von Efeu und Flechten überwucherte Briarbank wirkte dagegen wie eine schäbige Hundehütte. Sie schaute nach links. Kein Marmor, dafür eine langgestreckte Fassade aus rotem Backstein, schimmerndem Kalksandstein und unzähligen blitzblanken Fenstern. Auf der rechten Seite lag der nicht weniger beeindruckende weitläufige Ostflügel.
Und das alles gehörte jetzt ihr. Hier konnte sie nach Herzenslust schalten und walten. Amelia kämpfte den Impuls nieder, Freudensprünge zu machen.
Als sie sich wieder diskret zum Eingangsportal umwandte, erblickte sie Spencer, der mit einer geschmeidig eleganten Bewegung absaß. Natürlich sah er wieder umwerfend aus. Eine dünne Staubschicht lag auf seiner maßgeschneiderten Reitgarderobe, was seine maskuline Ausstrahlung noch unterstrich. Seine Haut war nach dem zweitägigen Ritt gesund gebräunt, und er wirkte überhaupt nicht erschöpft. Sichtlich entspannt drückte Spencer die Zügel einem wartenden Stallburschen in die Hand und wechselte ein paar Worte mit dem Angestellten. Er lachte sogar.
Als er sich umdrehte, fing er ihren Blick auf. Das Lächeln verschwand.
»Mein Gott.« Der Kies knirschte unter seinen Stiefeln, als er auf sie zukam. Amelia hatte es bereits geahnt: Er machte alles nur noch schlimmer. »Du siehst ja fürchterlich aus.«
Sie wand sich unter seinem Blick.
»Verzeih mir. Die Kutsche …«
»Ja, offensichtlich. Komm ins Haus und ruh dich aus.« Sanft legte er ihr die Hand auf den Rücken und führte sie die Marmortreppen hinauf zu der offenen Eingangstür. Er spürte, wie verspannt sie war und strich ein paar Mal mit dem Daumen fest über die Stellen, die besonders weh taten. Sie presste die Lippen aufeinander und unterdrückte ein erleichtertes Stöhnen.
»Wieso hast du nichts gesagt?«, schalt er sie. »Meinetwegen hättest du gern mitreiten
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