Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I
serviert und mir ihrganzes Leben erzählt, vom Morgen bis Mitternacht. Angeblich erinnere ich sie an den Helden eines Romans, den sie liest, nur dass ich besser aussehe.«
»Warum ist Bescheidenheit niemals ein Kennzeichen des Helden?«
Er nahm ihren Arm. »Sie sind ja nur neidisch, weil ich Tee bekommen habe. Und sehr leckere Scones mit Marmelade und Sahne.«
»Ist das ein Beispiel für Ihren berühmten Charme?«
»Oh, den verschwende ich nicht an jedermann«, sagte er grinsend. »Zum Beispiel nicht an Damen, die man in Schränken trifft; an Damen, die mir eins auf die Nase geben; an Damen –«
Mary musste lachen. »Schon gut. Erzählen Sie, was Sie rausbekommen haben.«
Er wurde ernst. »Mrs Thorold mietet das Haus unter dem Namen Thorpe und kommt nachmittags her. Sie hat einen männlichen Freund, einen Mr Samuels, den sie zwei- oder dreimal die Woche hier trifft.«
»Hat mal jemand das Haus von innen gesehen? Hat ›Mrs Thorpe‹ ein Mädchen?«
»Nein; man fragt sich hier allgemein, wie sie das Haus in Schuss hält.«
»Und was ist mit ungewöhnlichen Lieferungen? Irgendwas, das man mit Thorolds Fracht in Verbindung bringen könnte?«
Er schüttelte den Kopf. »Nichts dergleichen. Die beiden halten sich sehr bedeckt; Janet weiß auch nicht, wo Mr Samuels herkommt, und sie ist wirklich äußerst neugierig.«
Mary überlegte. »Klingt ja wirklich nach einem klassischen Seitensprung.«
James nickte. »Janet meint das auch. Angeblich ist es das Lieblingsthema der hiesigen Hausmädchen, wenn sie sich treffen.«
Sie gingen ein Stück weiter, bis sie an den Rand eines kleinen Rasenstücks kamen. Der Junge mit dem Fußball schoss diesen plötzlich in ihre Richtung. »Entschuldigung, Sir!«, rief er.
James fing den schmutzigen Ball fast reflexartig ab. »Entschuldigen Sie mich einen Moment.« Er bedeutete ihr, weiterzugehen, und wandte sich an den Jungen. Zuerst sah es so aus, als würde er ihn ausschimpfen, doch als der Junge zu reden begann, hörte James aufmerksam zu. Mary beobachtete die Szene ohne größeres Interesse, bis sie eine plötzliche Veränderung in James’ Körpersprache wahrnahm. Er erstarrte, warf einen Blick in ihre Richtung und redete wieder mit dem Jungen. Die ganze Unterhaltung dauerte nur drei oder vier Minuten, aber als sie vorüber war, gab James dem Jungen etwas – Geld? – und kam zu ihr zurück.
»Wer war das?«, fragte Mary.
»Komisch, dass Sie fragen.« Er umklammerte ihren Arm fest, ging mit langen Schritten voran und zwang sie zu laufen, um mit ihm Schritt zu halten.
»Was ist passiert?«
Er blieb abrupt stehen. »Wann wollten Sie es mir sagen?«
Mary verspürte wieder diesen Augenblick desGrauens, die Gewissheit, dass sie erwischt worden war. »Was sollte ich Ihnen sagen?«, fragte sie vorsichtig.
Sein Griff um ihren Arm wurde noch fester. »Heute Morgen haben Sie der Eheschließung von Angelica Thorold und Michael Gray als Trauzeugin beigewohnt. Warum haben Sie das nicht erzählt?«
»Ich … ich habe mein Wort gegeben.«
»Ihr Wort gegeben.« Seine Stimme klang verächtlich.
»Michael und Angelica. Ich habe ihnen versprochen, es keinem zu sagen.«
»Ein Versprechen, das Sie nie hätten geben dürfen. Sie hatten schon zugestimmt, mit mir zusammenzuarbeiten, und unsere Übereinkunft hätte so ein Versprechen nicht zulassen dürfen.« Er sah sie noch immer finster an, dann ließ er sie plötzlich los. Das kam so unerwartet, dass sie zurückstolperte. »Sie haben Ihr Wort gebrochen!«
Gekränkt verteidigte sie sich. »Und Sie haben mich beobachten lassen, Sie trauen mir also sowieso nicht! Jetzt tun Sie so wütend, aber Sie sind doch wohl derjenige, der mich ausspioniert hat!«
»Ich muss mich Ihnen gegenüber zwar nicht rechtfertigen«, murmelte er, »aber der Junge hat Gray beschattet. Nicht Sie.«
Mary wurde bleich. Ihr Zorn verflog und wurde von plötzlicher Übelkeit abgelöst.
»Der Junge hat nur berichtet, was er heute Morgen in der Kirche beobachtet hat: Sie haben die Vermählungbezeugt.« James starrte sie lange an. »Was sagten Sie, wie alt Sie sind?«
»Ich … ich sagte, ich sei zwanzig.«
Seine Augen verengten sich. »Sie
sagten …
«
Sie schaffte es nicht, wieder zu lügen. Jetzt nicht mehr. Nicht mehr ihm gegenüber. »Ich bin siebzehn«, gab sie kleinlaut zu.
»Dann ist die Heirat nicht mal legal.«
»Nein«, flüsterte sie.
»Verstehen Sie das unter einem Scherz? Und wenn ja, auf wessen Kosten? Angelicas, Michael
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