Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I
einer Stelle, die deiner Gesundheit schadet.«
Cass machte ein trotziges Gesicht. »Jede Stelle ist besser als gar keine. Und jetzt hab ich nicht mal ein Empfehlungsschreiben. Ohne das kann ich keine neue Arbeit kriegen.« Die Tränen kamen wieder und sie wischte sich über die Augen.
»Nimm mein Taschentuch, Cass. Bitte.«
Es war wohl etwas mit dem Taschentuch; vielleicht war es einfach zu fein, um es zu benutzen. Auf jeden Fall hörte Cass auf zu weinen. »Tut mir leid, Miss Quinn«, murmelte sie.
»Muss es nicht. Hör zu, Cass: Möchtest du wirklich eine Küchenhilfe bleiben?«
Ein Schulterzucken. »Das kann ich eben, Miss.«
Mary machte eine ungeduldige Handbewegung. »Aber weißt du noch, wie wir darüber geredet haben, eine Dame zu werden? Nicht eine richtige Dame, aber so wie ich?«
»Jaa…«
»Und, möchtest du noch immer so werden?«
Cass wurde rot. »Das war doch nur Träumen, Miss.«
Mary nahm die Hand des Mädchens in ihre. »Und wenn ich dir jetzt sagen würde, dass es kein Traum ist, Cass? Wenn ich dir sagen würde, dass du zur Schule gehen und andere Mädchen in deinem Alter kennenlernen kannst?«
Cass runzelte die Stirn, eher vor Verwirrung als ablehnend.
»Unterricht ist auch Arbeit«, sagte Mary warnend. »Nicht alles wird dir Spaß machen. Aber du könntest was lernen.«
Cass schüttelte den Kopf, wie, um ihn frei zu bekommen. »Miss, Sie sind nicht … Ich bin ein Küchenmädchen. Sonst nichts. Sie sind sehr freundlich, Miss Quinn, aber ich kann nicht. Ich verstehe ja nicht mal, was Sie meinen.«
Mary unterdrückte ein Seufzen. »Ich weiß, das kommt plötzlich. Was ich meine, ist, dass ich jemanden kenne, der dir helfen kann. Es ist eine Lehrerin an einem Mädcheninternat und sie interessiert sich für –« Sie brach ab. Cass’ Gesicht war ganz still und bewegungslos geworden und sie näherte sich langsam der Tür und schüttelte den Kopf. »Was ist los, Cass?«
Cass schüttelte immer noch den Kopf. »Sie sind sehr freundlich, Miss, aber bitte, ich muss gehen.«
»Ich kann dir einen Brief mitgeben – wie ein Empfehlungsschreiben, aber für die Schule statt für eine Dienststelle. Du kannst ihn zu dieser Schule mitnehmen …«
Cass blinzelte, dann nickte sie kurz und heftig. Es war nicht die begierige Zustimmung, auf die Mary gehofft hatte, trotzdem setzte sie sich sofort hin und hob ihre Schreibunterlage auf ihren Schoß. Sie brauchte eine Minute, bis sie Feder, Tinte und Papier beisammen hatte.
Liebe Miss Treleaven,
schrieb sie,
Cassandra Day, die Überbringerin dieses Schreibens …
Die Tür klickte und Mary sah auf. Als sie die Tür erreichte, hatte Cass schon den halben Gang hinter sich gebracht und sprintete davon, ihr Kleiderbündel fest unter den Arm geklemmt. Marys erste Reaktion war, ihr nachzulaufen. Aber was würde das bringen? Selbst wenn sie Cass einholte und persönlich bei Anne Treleaven ablieferte – das Institut war schließlich kein Gefängnis. Unwillige Schülerinnen durften jederzeit gehen. Sie lauschte dem verhallenden Klappern von Cass’ Schritten und fuhr sich erschöpft übers Gesicht. Ihre Finger fühlten sich leicht fettig an – wahrscheinlich von Cass. Sie wusch sich die Hände und ging hinunter ins Frühstückszimmer.
***
Es wurde der Morgen häuslicher Krisen. Eine halbe Stunde später, als Mary zufällig an Angelicas Zimmer vorbeikam, fiel ihr ein unterdrücktes Jammern auf. Sie zögerte. Angelica hatte sie bisher nie zur Anteilnahme ermutigt, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass sich das geändert hatte … doch nach dem gestrigen Tag fühlte sich Mary verantwortlich für sie.
Sie organisierte ein Tablett mit Tee und klopfte an die Tür. Nach mehreren Minuten hörte sie endlich ein unterdrücktes »Herein«. Das Zimmer war abgedunkelt und die Luft stand und roch nach Schlaf und altem Parfüm.
»Ich bringe Ihnen eine Tasse Tee«, sagte Mary zu dem Klumpen unter der Bettdecke.
Angelica fuhr fort, in ihr Kopfkissen zu schluchzen.
Mary war nun wirklich besorgt. Das war doch schließlich der Tag nach jenem, der angeblich der glücklichste im Leben von Angelica sein sollte. »Angelica? Sind Sie krank?«
Langes Schweigen. »N-nein.«
»Haben Sie sich mit Michael gestritten?«
Angelicas Gesicht tauchte auf, geschwollen, gerötet und grotesk verunstaltet. »N-nein. Gestern war so schön – Michael war so lieb – alles ist schö-ön …« Sie löste sich erneut in Tränen auf.
Mary wusste nicht,
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