Ein verhaengnisvoller Winter
fuhr, ärgerte sie sich nur noch über ihre eigene Dummheit. Auf der Heimfahrt hatte sie daran gedacht, wie sie sich verhalten würde, wenn ihr Richard das erste Mal wieder über den Weg lief und hatte sich entschlossen, dieses Ereignis so lang wie möglich hinauszuzögern. Allerdings würde es ihn bestimmt interessieren, was sie damals bei ihrem Gespräch mit Lisbeth auf dem Amt herausgefunden hatte und darum hatte sie einen Brief mit den Informationen in ihrer Tasche gehabt, welchen sie Richard in den Briefkasten geschmissen hatte, als sie auf dem Weg vom Bahnhof bei ihm vorbeikam. Das war gestern Mittag gewesen und Josefine fragte sich, ob er überhaupt ihren Brief geöffnet hatte, oder ob er ihn direkt zerrissen hatte. Verübeln konnte sie es ihm nicht. Seufzend erhob sie sich und stellte ihre Tasse in die Spüle. Draußen hörte sie Stimmen und verzweifelt um Ablenkung bemüht, begab sie sich nach draußen. Man konnte ja mal guten Abend sagen. Margot war oben sowieso mit ihrer Tochter beschäftigt.
„Nabend“, rief sie, als sie aus der Tür trat und sich die Jacke zuknöpfte. „Nabend, Josefine“, erwiderte Anneliese, die mitten auf dem Hof stand und Lina und Franz beim Spielen zusah. Neben ihr stand Herbert, der sich gerade verabschiedete.
„Guten Abend, Josefine. Ja, ich w erd mich dann auch mal wieder auf den Weg machen. Danke für den Kaffee, Anneliese.“ Er hatte noch keinen Schritt getan, als er ausrief: „Oh, da kommt ja noch mehr Besuch.“
Unbehaglich sah Josefine, wie Richard sein Fahrrad vor ihnen zum Stehen brachte.
Richard hatte nicht gewusst, dass seine Laune sich noch weiter verschlechtern konnte, aber einen Blick auf die Versammlung auf dem Hof belehrte ihn eines Besseren. Monatelang hatte er sich bemüht, Geld zu verdienen und langsam ein geregeltes Leben zu führen. Seine allabendlichen Besuche in der Wirtschaft hatte er auf einmal die Woche eingeschränkt, er hatte vorgehabt, ein wenig Geld zu sparen und er hatte endlich einmal Zukunftspläne geschmiedet. Er hatte sogar angefangen, sein Heim ein wenig sauberer zu halten und seine Wäsche öfter zu waschen. Und wozu? Damit die Frau, von der er gehofft hatte, sie würde mittlerweile erkannt haben, dass er doch nicht so schlecht war, wie sie anfangs gedacht hatte, dass diese Frau ihm ins Gesicht sagte, dass sie in ihm niemals etwas anderes sehen würde, als ein abschreckendes Beispiel für jede Frau. Trotzdem hatte er sich nicht gehen lassen, wie er es am letzten Mittwoch eigentlich vorgehabt hatte. Nein, er wollte nicht, dass sie die Nase rümpfen und sagen konnte, sie habe es ja immer gesagt. Also hatte er geguckt, dass er so viel Arbeit bekam wie möglich und war für einen kranken Kollegen eingesprungen. Samstagabend war er erschöpft ins Bett gefallen, nicht ohne sich zu fragen, was Josi wohl gerade mit Anton tat. Am Sonntag war er niedergeschlagen im Bett geblieben und hatte den ganzen Tag Radio gehört. Als er heute nach Hause gekommen war, hatte er sich gefragt, warum er sich eigentlich so den Arsch aufriss. Es gab nicht einen Menschen, den interessierte was er machte. Was seine Gedanken wieder auf die Personen gebracht hatte, die er für das Verschwinden eben dieser Menschen verantwortlich machte. Als er dann im Briefkasten den Brief von Josefine gefunden und gelesen hatte, hatte es ihm endgültig gereicht. Der nichtsnutzige Versager würde denen zeigen, dass er sie alle durchschaut hatte. Vor Wut kochend stellte er nun mit erzwungener Ruhe sein Fahrrad ab.
„Na, schönes Wochenende gehabt?“, grollte er Josefine im Vorbeigehen zu, während er, ohne zu Grüßen auf Anneliese und Herbert zuschritt. Der Gruß der Kinder war der einzige, den er sich zwang mit einem Lächeln zu erwidern, ehe er sich mit mürrischer Miene den beiden Erwachsenen zuwandte. „Na Herbert. Die Ehefrau grade unter der Erde und schon von Anneliese das Bett wärmen lassen, was?“
Das Keuchen von Josefine hinter ihm und das empörte Stottern Herberts ignorierte er und konzentrierte sich auf Anneliese. „Richard, was fällt dir ein, bist du betrunken?“
„Tu nicht so falsch. Ich weiß, dass ihr beiden eine Affäre habt. Und ich weiß, dass du bei meinem Vater warst, an dem Tag, als er gestorben ist. Die Leute in deinem Umfeld leben gefährlich, was?“, wütete Richard. „Lass mal sehen, dein Mann, dein Schwiegersohn, dessen Vater und nun deine beste Freundin. Ich muss sagen, dass da noch keiner vor mir drauf gekommen ist, das verwundert mich
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