Ein verhängnisvolles Versprechen
wäre …«, sagte Muse. »Wenn sie einfach ausgerissen und sich bei Drew Van Dyne versteckt hätte, dann war sie vielleicht mit ihm bei den Wolfs. Und vielleicht, nur ganz vielleicht, wollte Aimee, unser verängstigtes kleines Mädchen, das Ganze wirklich hinter sich lassen. Vielleicht wollte sie auf die Universität gehen und alle Verbindungen zur Schule kappen – aber dieser Kerl, dieser Drew Van Dyne, wollte sie nicht gehen lassen …«
Myron schloss die Augen. Seine Grenzen wurden sehr stark strapaziert. Er schüttelte den Kopf. »So war das nicht.«
Sie zuckte die Achseln. »Kann schon sein.«
»Ich kenne Aimee seit ihrer Geburt.«
»Ich weiß, Myron. Sie ist ein nettes junges Mädchen. Und nette junge Mädchen können keine Mörderinnen sein, stimmt’s?«
Er dachte an Aimee Biel, an die Aimee Biel, die bei ihm im Keller mit einer Freundin über ihn gelacht hatte, an die Aimee Biel, die mit drei Jahren auf dem Spielplatz auf die Klettergerüste geklettert war. Er erinnerte sich daran, wie sie an ihrem Geburtstag die Kerzen ausgeblasen hatte. Er erinnerte sich an ihre Schulaufführung in der achten Klasse. Und während er daran dachte, wuchs der Zorn in ihm.
»So war das nicht«, wiederholte er.
Er wartete gegenüber vom Haus auf dem Gehweg.
Erik kam zuerst heraus. Seine Miene war grimmig und angespannt. Aimee und Claire folgten ihm. Myron blieb stehen und beobachtete sie. Aimee entdeckte ihn zuerst. Sie winkte Myron lächelnd zu. Myron sah sich das Lächeln genau an. Er entdeckte keinen Unterschied. Es war das gleiche Lächeln, das er von früher
vom Spielplatz kannte, das gleiche Lächeln, das er vor ein paar Wochen im Keller gesehen hatte.
Es hatte sich nicht verändert.
Trotzdem lief ihm jetzt ein Schauer über den Rücken.
Dann sah er Erik und Claire. In ihren Augen lag Entschlossenheit und Fürsorge. Myron sah aber noch etwas anderes, das über Erschöpfung und Verzweiflung hinausging. Etwas Primitives und Instinktives. Erik und Claire begleiteten ihre Tochter. Aber sie berührten sie nicht. Myron fiel das auf. Aimees Eltern vermieden es, ihre eigene Tochter zu berühren.
»Hi, Myron!«, rief Aimee.
»Hi.«
Sie lief über die Straße zu ihm. Erik und Claire rührten sich nicht. Myron auch nicht. Aimee stürzte sich so ungebremst auf ihn und umschlang ihn mit ihren Armen, dass sie ihn beinah umgeworfen hätte. Myron versuchte, die Umarmung zu erwidern, aber es gelang ihm nicht richtig. Aimee drückte noch fester.
»Danke«, flüsterte sie.
Er sagte nichts. Die Umarmung fühlte sich an wie früher. Sie war herzlich und kräftig. Nicht anders als vorher.
Trotzdem wollte er, dass sie ihn losließ.
Myron spürte, wie ihm das Herz brach. Gott helfe ihm, er wollte nur noch, dass sie ihn losließ, dass sie ihm nicht so nahe kam. Er wollte, dass dieses Mädchen, das er so lange geliebt hatte, sich von ihm entfernte. Er legte die Hände auf ihre Schultern und schob sie sanft von sich.
Claire war über die Straße gekommen und stand jetzt direkt hinter Aimee. Sie sagte zu Myron: »Wir haben’s eilig. Wir melden uns mal, damit wir was zusammen unternehmen können.«
Er nickte. Die beiden Frauen gingen. Erik hatte am Wagen gewartet. Myron behielt die drei im Auge. Claire ging neben ihrer Tochter, berührte sie aber immer noch nicht. Aimee stieg hinten in den Wagen. Erik und Claire sahen sich an. Sie sagten nichts. Sie setzten sich auf die Vordersitze. Das war alles ganz normal,
dachte Myron, trotzdem hatte er den Eindruck, als würden sie Aimee auf Distanz halten, als überlegten sie, ob sie nicht mit einer Fremden zusammenlebten. Vielleicht hatte diese Überlegung aber auch schon zu einem Ergebnis geführt. Claire drehte sich um und sah Myron an.
Sie sind sich sicher, dachte Myron.
Er sah dem Wagen nach. Als er verschwand, wurde ihm etwas klar:
Er hatte sein Versprechen nicht gehalten.
Er hatte Claire ihre kleine Tochter nicht zurückgebracht.
Ihre kleine Tochter war weg.
57
Vier Tage später
Jessica Culver hatte tatsächlich Stone Norman in der Tavern on the Green geheiratet.
Myron las es in der Zeitung im Büro. Esperanza und Win waren auch da. Win stand vor dem großen Spiegel und kontrollierte seinen Golfschwung. Das machte er oft. Esperanza sah Myron aufmerksam an.
»Alles klar?«, fragte sie.
»Ja.«
»Dir ist doch klar, dass dir noch nie was Besseres passiert ist, als dass die unter die Haube gekommen ist?«
»Durchaus«, sagte Myron. »Mir ist was klar geworden,
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