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Ein verhängnisvolles Versprechen

Ein verhängnisvolles Versprechen

Titel: Ein verhängnisvolles Versprechen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H Coben
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Antiques Roadshow lügt.«
    Myron nickte. »Du meinst, wenn der Schätzer fragt: ›Haben Sie eine Vorstellung, was das wert sein könnte?‹«
    »Genau. Er stellt immer dieselbe Frage.«

    »Ich weiß.«
    »Und Mr oder Mrs Blitzmerker tun so, als wären sie vollkommen überrascht davon – als hätten sie die Sendung vorher noch nie gesehen.«
    »Das nervt«, stimmte Myron zu.
    »Und dann sagen sie so etwas wie ›Keuch-oh-keuch, darüber habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich weiß absolut nicht, was das wert sein könnte.‹« Win runzelte die Stirn. »Also, jetzt überleg doch mal. Du hast deinen zwei Tonnen schweren Granit-Kleiderschrank in ein unpersönliches Kongresszentrum geschleppt, dann zwölf Stunden in der Schlange gestanden – aber du hast selbst in deinen wildesten Träumen nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht, was das gute Stück wert sein könnte?«
    »Eine Lüge«, stimmte Myron zu, der allmählich den Alkohol spürte. »Vom selben Format wie ›Ihr Anruf ist für uns sehr wichtig‹.«
    »Und deshalb«, fuhr Win fort, »erfüllt es uns mit Genugtuung, wenn so eine Frau eins aufs Dach bekommt. Die Lügen. Die Gier. Aus dem gleichen Grund freuen wir uns, wenn der Trottel, der im Glücksrad die Lösung kennt, aber trotzdem noch einmal drehen will, um noch ein paar Extra-Dollars einzustreichen, auf Bankrott landet.«
    »Genau wie im richtigen Leben«, meinte der angeschlagene Myron.
    »Du sagst es.«
    Doch dann summte die Gegensprechanlage.
    Myrons Laune verschlechterte sich schlagartig. Er schaute auf die Uhr. Es war halb zwei. Er sah Win nur an. Der erwiderte den Blick mit ausdrucksloser Miene. Win war immer noch attraktiv, zu attraktiv, aber die Jahre, der Alkohol, die langen Nächte voller Gewalt oder – wie heute – Sex, hatten erste Spuren in seinem Gesicht hinterlassen.
    Myron schloss die Augen. »Ist das eine …?«
    »Ja.«

    Myron seufzte und stand auf. »Das hättest du mir auch sagen können.«
    »Wozu?«
    Sie hatten dieses Thema schon oft diskutiert. Es gab keine Antwort auf die Frage.
    »Sie kommt aus einem neuen Etablissement in der Upper West Side«, sagte Win.
    »Ja, sehr praktisch.«
    Ohne ein weiteres Wort ging Myron den Flur entlang zu seinem Schlafzimmer. Win machte die Tür auf. Sosehr ihn die Situation auch deprimierte, riskierte Myron doch noch einen Blick. Das Mädchen war jung und hübsch. Sie begrüßte Win mit einem forciert fröhlichen »Hi!« Win antwortete nicht. Mit einem Winken forderte er sie auf, ihm zu folgen. Sie schwankte auf zu hohen Stiletto-Absätzen hinter ihm her. Beide verschwanden in den anderen Flur.
    Wie Esperanza schon festgestellt hatte, waren manche Dinge einfach nicht zu ändern – sosehr man es sich auch wünschte.
    Myron schloss die Tür und ließ sich aufs Bett fallen. In seinem Kopf verschwamm alles vom Alkohol. Die Decke über ihm drehte sich. Es kümmerte ihn nicht. Er glaubte nicht, dass er sich übergeben würde, und er verdrängte den Gedanken an das Mädchen. Das fiel ihm leichter als früher – eine Veränderung, die gewiss nicht zum Besseren war. Er hörte nichts. Das Zimmer, das Win für solche Gelegenheiten benutzte (natürlich nicht sein Schlafzimmer), war schallisoliert. Schließlich fielen Myron die Augen zu.
    Der Anruf erreichte ihn auf dem Handy.
    Myron hatte es auf »vibrieren, dann klingeln« eingestellt. Es ratterte auf seinem Nachttisch. Er wachte aus dem Halbschlaf auf und griff danach. Er drehte sich auf die Seite, und sein Kopf beschwerte sich massiv. Da sah er den Digitalwecker auf dem Nachttisch.
    2:17 Uhr.

    Er sah nicht aufs Display, bevor er das Handy ans Ohr hielt.
    »Hallo?«, krächzte er.
    Zuerst hörte er ein Schluchzen.
    »Hallo?«, wiederholte er.
    »Myron? Hier ist Aimee.«
    »Aimee.« Myron setzte sich auf. »Was ist los? Wo bist du?«
    »Du hast gesagt, ich kann dich anrufen.« Wieder schluchzte sie. »Jederzeit, stimmt’s?«
    »Stimmt. Wo bist du, Aimee?«
    »Ich brauch Hilfe.«
    »In Ordnung, kein Problem. Sag mir einfach, wo du bist.«
    »Oh Gott …«
    »Aimee?«
    »Du sagst es nicht weiter, ja?«
    Er zögerte. Er sah Claire vor sich, Aimees Mutter. Er erinnerte sich, wie Claire damals gewesen war, und ein stechender Schmerz durchzuckte ihn.
    »Du hast es versprochen. Du hast versprochen, dass du meinen Eltern nichts davon erzählst.«
    »Ich weiß. Wo bist du?«
    »Versprich mir, dass du ihnen nichts sagst.«
    »Ich versprech’s dir, Aimee. Jetzt sag mir, wo du bist.«

7
    Myron

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