Ein verhängnisvolles Versprechen
kurz vor Katie Rochesters Verschwinden an einem Geldautomaten der Citibank in Midtown Geld abgehoben worden. Loren hatte das Video aus der Überwachungskamera gesehen. Die Frau hatte ihr Gesicht mit einer Kapuze verdeckt, vermutlich war es aber Katie gewesen. Der Vater hatte die Familie ziemlich tyrannisiert. Das war bei Ausreißern fast immer so. Die Kinder von zu großzügigen Eltern wurden oft drogenabhängig. Kinder von zu strengen Eltern rissen aus und landeten auf dem Strich. Vielleicht waren das auch nur Klischees, aber Loren kannte nur sehr wenige Gegenbeispiele.
Sie stellte noch ein paar Fragen, obwohl man im Prinzip jetzt nichts mehr machen konnte. Das Mädchen war achtzehn. Edna Skylars Beschreibung enthielt keinen Hinweis auf ein Verbrechen. Wenn so etwas im Fernsehen läuft, wird gerne ein Spezial-Team vom FBI darauf angesetzt. Im richtigen Leben passiert das nicht.
Doch Loren spürte irgendetwas im Hinterkopf. Manche Menschen würden es Intuition nennen. Sie hasste das. Vielleicht eine Ahnung … aber das gefiel ihr auch nicht. Sie fragte sich, was Ed Steinberg, ihr Boss, vorhatte. Wahrscheinlich nichts. Die County-Staatsanwaltschaft war mit zwei Fällen beschäftigt, in denen sie mit der US-Staatsanwaltschaft zusammenarbeitete – in einem ging es um Terrorismus, im anderen um einen bestechlichen Politiker in Newark.
Sollten sie sich bei ihren knappen Ressourcen mit einem Fall beschäftigen, bei dem alles auf eine Ausreißerin hindeutete? Die Entscheidung fiel nicht schwer.
»Warum jetzt?«, fragte Loren.
»Wie bitte?«
»Sie haben drei Wochen lang nichts gesagt. Warum haben Sie es sich plötzlich anders überlegt?«
»Haben Sie Kinder, Inspector Muse?«
»Nein.«
»Ich schon.«
Wieder ließ Loren den Blick über den Schreibtisch, den Aktenschrank und die Wand gleiten. Kein Familienfoto. Kein Anzeichen für Kinder oder Enkel. Skylar lächelte, als durchschaute sie Muse.
»Ich war eine erbärmliche Mutter.«
»Ich kann Ihnen nicht folgen.«
»Mein Erziehungsstil war, na, nennen wir es mal laissez-faire. Alles, bei dem ich mir nicht ganz sicher war, habe ich einfach durchgehen lassen.«
Loren wartete.
»Das«, fuhr Edna Skylar fort, »war ein großer Fehler.«
»Ich weiß immer noch nicht, was Sie damit sagen wollen.«
»Ich auch nicht. Aber dieses Mal …« Ihre Stimme erstarb. Sie schluckte und schaute auf ihre Hände, bevor sie den Blick wieder hob und Loren ansah. »Nur weil alles von außen gut aussieht, muss es noch längst nicht gut sein. Vielleicht braucht Katie Rochester Hilfe. Vielleicht reicht es diesmal nicht, alles einfach nur durchgehen zu lassen.«
Um genau 2:17 Uhr holte Myron sein Versprechen aus dem Keller wieder ein.
Drei Wochen waren vergangen. Myron war immer noch mit Ali zusammen. Es war Esperanzas Hochzeitstag. Ali sollte ihn begleiten. Myron hatte die Rolle des Brautvaters übernommen. Tom – mit vollem Namen Thomas James Bidwell III – war ein Cousin von Win. Die Hochzeit fand im kleinen Kreis statt. Eigenartigerweise war die Familie des Bräutigams, die an der Gründung der Daughters of the American Revolution beteiligt war, nicht unbedingt begeistert von der Hochzeit ihres Sprösslings mit einer in der Bronx geborenen Amerikanerin lateinamerikanischer Abstammung namens Esperanza Dias. Wer hätte das gedacht?
»Komisch«, sagte Esperanza.
»Was?«
»Ich hab immer gedacht, ich heirate irgendwann wegen des Geldes, nicht aus Liebe.« Sie sah sich im Spiegel an. »Und jetzt heirate ich aus Liebe und komme zu Geld.«
»Ironie des Schicksals.«
»Gute Sache, das. Fährst du nach Miami, um dich mit Rex zu treffen?«
Rex Storton war ein alternder Filmstar, den sie vertraten. »Ich flieg morgen Nachmittag runter.«
Esperanza drehte sich zu ihm um, breitete die Arme aus und lächelte ihn strahlend an. »Und?«
Was für ein Anblick. Myron sagte: »Wow.«
»Findest du?«
»Absolut.«
»Dann los. Bringen wir mich unter die Haube.«
»Machen wir.«
»Eins noch.« Esperanza zog ihn zur Seite. »Du sollst dich mit mir freuen.«
»Tu ich.«
»Ich verlass dich nicht.«
»Ich weiß.«
Esperanza sah ihm in die Augen. »Wir sind immer noch die besten Freunde«, sagte sie. »Das weißt du doch. Du, ich, Win, Big Cyndi. Daran wird sich nichts ändern.«
»Doch«, sagte Myron. »Alles ändert sich.«
»Ich liebe dich, das weißt du doch.«
»Ich dich auch.«
Wieder lächelte sie. Esperanza war wie immer verflucht schön. Normalerweise erfüllte sie
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