Ein verhängnisvolles Versprechen
zum Wagen zurück.
Myron folgte ihr. Er reichte dem Tankwart seine Kreditkarte, der rechnete ab, dann fuhren sie los.
Aimee forderte ihn auf, die Route 17 nach Norden zu nehmen. Die Einkaufszentren und -passagen standen hier so dicht nebeneinander, dass man sie für eine einzige, endlose Einkaufsstraße halten konnte. Myron erinnerte sich noch daran, wie sein Vater jedes Mal, wenn sie an der Livingston Mall vorbeigefahren waren, den Kopf geschüttelt, darauf gedeutet und gestöhnt hatte: »Guckt euch bloß die vielen Autos an! Wenn es um die Wirtschaft so schlecht bestellt ist, warum gibt es dann so viele Autos? Da steht alles voll! Guckt euch das doch mal an!«
Myrons Eltern hatten sich inzwischen in einem abgesperrten Vorort außerhalb von Boca Raton niedergelassen. Dad hatte endlich das Lagerhaus in Newark verkauft und staunte jetzt über die Dinge, die für andere Menschen schon seit vielen Jahren normal waren. »Myron, sag mal, bist du schon mal bei Staples gewesen? Mein Gott, die haben da ja alle erdenklichen Stifte und Papiere. Und dann die Sonderpostenmärkte. Damit darf ich gar nicht erst anfangen. Ich habe achtzehn Schraubenzieher
für unter zehn Dollar gekauft. Wenn wir da reingehen, kaufen wir immer so viel Zeug, dass ich dem Mann an der Kasse sage – und der lacht darüber, Myron –, ich sag dann immer: ›Jetzt hab ich wieder so viel Geld gespart, dass ich daran noch pleitegehe‹.«
Myron sah Aimee an. Er erinnerte sich an seine Teenagerzeit, an den Krieg, der die Pubertät nun einmal war, und dachte daran, wie häufig er damals seine Eltern belogen hatte. Und dabei war er ein braver Junge gewesen. Er war nicht in Streitereien geraten, hatte gute Noten bekommen und war wegen seines Basketball-Talents allseits beliebt – und trotzdem hatte er seinen Eltern vieles verheimlicht. Das machten alle Jugendlichen. Wahrscheinlich war das auch richtig so. Kinder, die unter dauernder Beobachtung standen und von ihren Eltern nie aus den Augen gelassen wurden, waren oft diejenigen, die irgendwann ausflippten. Man brauchte einfach ein Ventil. Jugendliche brauchten einen gewissen Freiraum, in dem sie rebellieren konnten. Wenn man ihnen den nicht ließ, stieg der Druck immer weiter, bis sie schließlich …
»Fahr die Ausfahrt da vorne runter«, sagte Aimee. »Linwood Avenue West.«
Er folgte ihrer Bitte. Hier kannte Myron sich nicht besonders gut aus. New Jersey ist eine Ansammlung kleiner und mittelgroßer Ortschaften. Jeder kennt sich nur da wirklich aus, wo er wohnt oder aufgewachsen ist. Myron wohnte in Essex County. Dies war Bergen County. Er gehörte nicht hierher. Als sie vor einer Ampel hielten, seufzte er, lehnte sich zurück und inspizierte Aimee dabei von der Seite.
Sie sah jung, verängstigt und hilflos aus. Über das letzte Wort dachte Myron einen Augenblick nach. Hilflos. Sie drehte sich um und sah ihn an. Herausfordernd. War es fair, ihr Hilflosigkeit zu unterstellen? So albern der Gedanke in dieser Situation auch sein mochte, aber welche Rolle spielte Sexismus dabei? Oder, um genauer zu sein, Chauvinismus. Würde er sich auch solche
Sorgen machen, wenn Aimee ein Junge wäre – ein kräftig gebauter High-School-Football-Spieler?
Natürlich behandelte er sie anders, weil sie ein Mädchen war.
War das richtig – oder verhedderte er sich gerade in politisch korrektem Unsinn?
»Nächste rechts, dann die Straße bis zum Ende und links.«
Er folgte ihrer Wegbeschreibung. Bald waren sie mitten im Häusergewirr. Ridgewood war ein alter Ort in der typischen hügeligen Landschaft New Jerseys – mit Alleen, viktorianischen Villen, kurvigen Straßen und sanften Tälern. Die Vororte griffen wie Teile eines Puzzles ineinander. Es gab kaum gerade Grundstücksgrenzen oder rechte Winkel.
Sie leitete ihn eine steile Straße hinauf, eine andere wieder hinab, nach links, dann nach rechts, dann wieder nach rechts. Myron folgte einfach ihren Anweisungen, ohne darüber nachzudenken. Er war gar nicht richtig bei der Sache, sondern überlegte, was er ihr noch sagen könnte. Aimee hatte eindeutig im Lauf der Nacht geweint. Sie wirkte leicht traumatisiert. Aber war in ihrem Alter nicht fast alles ein bisschen traumatisch? Wahrscheinlich hatte sie sich mit ihrem Freund gestritten, diesem Randy, von dem im Keller die Rede gewesen war. Vielleicht hatte der gute Randy sie verlassen. So etwas kam in der High School schon mal vor. Viele Jugendliche fanden es toll, Herzen zu brechen. Sie zeigten damit, dass sie
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