Ein verhängnisvolles Versprechen
ihr nicht ein. Man fuhr nicht über die George Washington Bridge und den Parkway. Aber selbst wenn, brauchte man keine 40 Minuten bis zur Mautstation in Bergen County. Um die Tageszeit dauerte das keine 20 Minuten.
Was hatte Bolitar zwischendurch gemacht?
Sie konzentrierte sich wieder auf den Zeitplan. Hinterher gab es eine Lücke von fast drei Stunden, aber um 07.18 Uhr hatte Bolitar Aimee Biels Handy angerufen. Sie war nicht rangegangen. Er hatte es im Lauf des Vormittags noch zweimal versucht. Beide Male ohne Erfolg. Gestern hatte er bei den Biels zu Hause angerufen. Das war der einzige Anruf, der länger als ein paar Sekunden gedauert hatte. Loren fragte sich, ob er da mit den Eltern gesprochen hatte.
Sie griff zum Telefon und rief Lance Banner an.
»Was gibt’s?«, fragte er.
»Hast du Aimees Eltern von Bolitar erzählt?«
»Noch nicht.«
»Ich glaube«, sagte Loren, »das wäre jetzt der richtige Zeitpunkt.«
Myron hatte eine neue Morgenroutine entwickelt. Als Erstes griff er nach der Zeitung und sah sich die Liste mit den Kriegsgefallenen an. Er überflog die Namen. Alle Namen. Er überzeugte sich, dass Jeremy Downing nicht darunter war. Dann fing er vorne an und las jeden Namen noch einmal in Ruhe. Er sah sich den Dienstgrad, den Heimatort und das Alter des Toten an. Mehr wurde nicht aufgeführt. Aber Myron stellte sich vor, dass jeder Name auf der Liste ein Jeremy war, dass er genauso war wie der nette Neunzehnjährige aus der Nachbarschaft – denn, so banal das auch klang, genau das waren diese Toten. Er sinnierte ein paar Minuten, was so ein Tod bedeutete – dass dieses junge, hoffnungsvolle Leben voller Träume für immer beendet war – und wie die Eltern sich dabei fühlten.
Er hoffte, seine Staatsoberhäupter taten etwas Ähnliches, bezweifelte es allerdings stark.
Myrons Handy klingelte. Auf dem Display stand SWEET CHEEKS. Das war Wins Geheimnummer. Myron nahm das Gespräch an und sagte: »Hallo?«
Ohne jede Begrüßung sagte Win: »Dein Flug kommt um dreizehn Uhr an.«
»Arbeitest du jetzt für die Fluggesellschaft?«
»Arbeitest du jetzt für die Fluggesellschaft«, sagte Win. »Der war echt gut.«
»Was ist los?«
»Arbeitest du jetzt für die Fluggesellschaft«, wiederholte Win. »Den Spruch muss ich mir noch mal auf der Zunge zergehen lassen. Arbeitest du jetzt für die Fluggesellschaft. Urkomisch.«
»Bist du fertig?«
»Warte, ich such mir eben einen Kugelschreiber, damit ich ihn aufschreiben kann. Arbeitest … Du … Jetzt … Für … Die … Fluggesellschaft.«
»Reicht’s jetzt?«
»Fangen wir noch mal von vorne an. Dein Flug kommt um dreizehn Uhr an. Ich hole dich am Flughafen ab. Ich habe zwei Karten für die Knicks. Wir sitzen direkt am Spielfeldrand. Wahrscheinlich neben Paris Hilton oder Kevin Bacon. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich dann lieber neben Kevin sitzen.«
»Du kannst die Knicks nicht ausstehen«, sagte Myron.
»Das ist wahr.«
»Und eigentlich gehst du auch nicht gern zu einem Basketballspiel. Wieso hast du uns also …« Dann verstand Myron. »Scheiße.«
Schweigen.
»Seit wann liest du den Styles- Teil, Win?«
»Um eins. Newark Airport. Bis dann.«
Klick.
Myron beendete die Verbindung und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dieser Win. Was für ein Kumpel.
Er ging in die Küche. Sein Vater war auf den Beinen und machte Frühstück. Er sagte nichts von Jessicas bevorstehender Hochzeit. Mom hingegen sprang von ihrem Stuhl auf, eilte ihm
entgegen, schaute ihn an, als wäre er todkrank, und fragte, ob es ihm gut gehe. Er versicherte ihr, dass alles in Ordnung sei.
»Ich hab Jessica seit sieben Jahren nicht mehr gesehen«, sagte er. »So schlimm ist das nicht.«
Seine Eltern nickten beide nachsichtig, als wollten sie ihm seinen Willen lassen.
Ein paar Stunden später fuhr er zum Flughafen. Er hatte sich eine Weile schlaflos im Bett herumgewälzt, aber im Grunde machte es ihm wirklich nicht viel aus. Sieben Jahre. Sie waren seit sieben Jahren getrennt. Und auch wenn Jessica in der Zeit, in der sie zusammen waren, meist die Fäden in der Hand gehalten hatte, war Myron am Ende derjenige gewesen, der die Beziehung beendet hatte.
Jessica war Vergangenheit. Er zog sein Handy aus der Tasche und rief Ali an – die Gegenwart.
»Ich bin am Flugplatz in Miami«, sagte er.
»Wie war’s in Florida?«
Als er Alis Stimme hörte, wurde ihm warm ums Herz. »Ist gut gelaufen.«
»Aber?«
»Kein Aber. Ich will dich
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