Ein verhängnisvolles Versprechen
setzte sich wieder. Die Jungs aßen schweigend. Joan strich sich den Rock glatt und griff nach ihrer Gabel. Dominick sah sie an. Sie war früher verdammt schön gewesen. Jetzt hatte sie einen glasigen Blick und ließ sich alles gefallen. Sie bewegte sich immer etwas geduckt, als suche sie nach Deckung. Sie trank zu viel, auch tagsüber, glaubte aber, dass er das nicht merkte. Egal. Immerhin war sie die Mutter seiner Kinder und fiel nicht aus der Rolle. Also ließ er es durchgehen.
Das Telefon klingelte. Joan Rochester sprang auf, aber Dominick bedeutete ihr, sie solle sich wieder setzen. Er wischte sich übers Gesicht und stand auf. Dominick war ein kräftig gebauter Mann. Nicht fett, sondern kräftig gebaut. Breiter Nacken, breite Schultern, breite Brust, kräftige Arme und Beine.
Er hasste seinen Nachnamen. Sein Vater hatte ihn in Rochester ändern lassen, damit man seine Herkunft nicht sofort erkannte. Aber sein alter Herr war ein Schwächling und ein Versager gewesen. Dominick hatte überlegt, ob er die Änderung rückgängig machen sollte, aber auch das würde wie Schwäche aussehen. Man hätte den Eindruck bekommen können, er lege zu großen Wert darauf, was andere über ihn dachten. In Dominicks Welt zeigte man niemals Schwäche. Seinen Vater hatten sie fertiggemacht. Sie hatten ihn gezwungen, seinen Friseursalon zu schließen. Sie hatten sich über ihn lustig gemacht. Sein Vater hatte gedacht, er stünde über den Dingen. Dominick wusste es besser.
Man muss sich entscheiden: Man kann anderen die Köpfe einschlagen,
oder man kriegt selbst was ab. Man stellt keine Fragen. Man verhandelt nicht – am Anfang jedenfalls nicht. Am Anfang teilt man nur aus. Man teilt aus und steckt die Gegenschläge ein. Bis die anderen einen respektieren. Dann kann man verhandeln. Man hat gezeigt, dass man bereit ist, Tiefschläge einzustecken. Man hat gezeigt, dass man Blut sehen kann – sogar das eigene. Wenn man gewinnen will, muss man die Widersacher mit blutüberströmtem Gesicht anlächeln. Das macht Eindruck.
Wieder klingelte das Telefon. Er sah aufs Display. Die Nummer war unterdrückt, was aber normal war, da die meisten Leute, die ihn anriefen, nicht wollten, dass jemand ihre Nummer erfuhr. Er kaute noch, als er den Hörer abnahm.
Die Stimme am anderen Ende sagte: »Ich hab was für Sie.«
Es war sein Kontaktmann bei der Staatsanwaltschaft. Dominick Rochester schluckte das Fleisch herunter. »Erzählen Sie.«
»Es wird noch ein Mädchen vermisst.«
Er zuckte zusammen.
»Sie ist auch aus Livingston. Gleiches Alter, gleiche High School, gleiche Jahrgangsstufe.«
»Name?«
»Aimee Biel.«
Der Name sagte ihm nichts, aber er kannte Katies Freundinnen auch nicht besonders gut. Er legte die Hand über die Sprechmuschel: »Kennt ihr eine Aimee Biel?«
Keiner antwortete.
»Hey, ich hab euch was gefragt. Sie ist in Katies Jahrgang.«
Die Jungs schüttelten die Köpfe, Joan rührte sich nicht. Er sah sie an. Sie schüttelte langsam den Kopf.
»Ich hab noch mehr«, sagte sein Kontaktmann.
»Und?«
»Sie haben eine Verbindung zu Ihrer Tochter entdeckt.«
»Was für eine Verbindung?«
»Ich weiß nicht. Ich hab nur ein Gespräch am Nebentisch mitgehört.
Aber ich glaube, es hat was mit dem Ort zu tun, an dem beide verschwunden sind. Kennen Sie einen Myron Bolitar?«
»Den alten Basketballstar?«
»Ja.«
Rochester hatte ihn damals ein paar Mal spielen sehen. Er wusste auch, dass sich Bolitar früher gelegentlich mit ein paar von Rochesters ziemlich unangenehmen Kollegen angelegt hatte.
»Was ist mit dem?«
»Der steckt da mit drin.«
»Wie?«
»Er hat das vermisste Mädchen in Midtown abgeholt. Das war das letzte Mal, dass sie jemand gesehen hat. Sie hat denselben Geldautomaten benutzt wie Ihre Katie.«
Er zuckte zusammen. »Er hat was?«
Dominicks Kontaktmann berichtete, dass Bolitar Aimee Biel nach New Jersey zurückgefahren hatte, dass ein Tankwart Zeuge eines Streits zwischen den beiden geworden war und dass Aimee Biel dann einfach verschwunden war.
»Hat die Polizei ihn vernommen?«
»Ja.«
»Was hat er gesagt?«
»Nicht viel, glaube ich. Er hat sich einen Anwalt besorgt.«
»Er hat …« Dominick wurde wütend. »Der Schweinehund. Haben sie ihn verhaftet?«
»Nein.«
»Wieso nicht?«
»Die Beweise reichen nicht.«
»Und jetzt? Lassen sie ihn einfach laufen?«
»Ja.«
Dominick Rochester wurde ganz still. Das merkte auch seine Familie. Auch sie wurde ganz still und traute sich kaum, sich
Weitere Kostenlose Bücher