Ein verruchter Lord
… und sich selbst. Eine Familie.
Fünfzehntes Kapitel
Auf dem Speicher saß Laurel in eleganter Aufmachung am Tisch. Sie trug ihr kostbares neues Kleid und fühlte sich rundum wie eine Göttin – nach dem Frühstück hatte sie sich endlich wieder gewaschen und nicht nur frische, sondern absolut luxuriöse Unterwäsche angezogen.
Das Leben war so schön in diesem Moment, zumal ihre bezaubernde Tochter sich samt Kätzchen auf ihren Schoß kuschelte. Ihr kindliches Geplapper wirkte wie Balsam für ihre Seele und begann den Kummer über die verpassten Jahre und Monate, die einsamen Tage und Stunden langsam zu lindern.
» Ich möchte das Kätzchen taufen. «
Laurel lächelte. » Das ist eine wunderbare Idee. Namen sind sehr wichtig. «
Melody nickte. » Billywick nennt mich kleine Mylady und Wibblyforce meist Lady Melody. Maddie und Pru sagen Mäuschen zu mir. «
» Das sind ganz schön viele Namen für eine so kleine Person. « Laurels Tonfall klang liebevoll, doch in ihrem Innern versetzte es ihr wieder einen Stich. Alle gehörten sie in Melodys Welt. Ersatzmamas ebenso wie Ersatzgroßväter und das Personal. Sie alle gaben ihr Kosenamen, umsorgten und verwöhnten sie, machten ihr Geschenke. Nur sie als ihre Mutter stand abseits, hatte sinnlos Jahre mit Gram verschwendet.
Melody hob den Kopf und schaute sie aus blauen Augen an, die ihren eigenen so sehr ähnelten. » Du kannst Mäuschen zu mir sagen, wenn du magst. Maddie hat sicher nichts dagegen. «
Laurels Augen wurden feucht. Dann schüttelte sie die Wehmut ab. » Weißt du, ich habe dir schon einmal einen Namen gegeben. « Sie fuhr mit den Fingerspitzen durch die dunklen Locken. » Als du geboren wurdest, nannte ich dich Melody. «
» Oh. « Ihre Händchen, die mit dem Kätzchen spielten, hielten inne. Sie richtete ihre großen Augen auf Laurel. » Tante Pruitt hat gesagt, meine Mama hätte den Namen ausgesucht. «
Obwohl ihr Herz raste, lächelte Laurel ihre kleine Tochter ruhig an. » Genauso war es. «
Melodys kleine Augenbrauen zogen sich ganz fest zusammen vor lauter Nachdenken. » Bist du meine Mama? Ganz ehrlich? «
Laurel wollten vor Rührung die Tränen kommen. » Ja, ich bin deine Mama, ganz ehrlich. «
Das Kind blinzelte ein wenig, um sogleich wieder zur Tagesordnung überzugehen und mit dem kleinen Kater zu spielen, der jedoch bald müde wurde und sich behaglich schnurrend in ihrem Schoß zusammenrollte. Laurel schaute glücklich zu. Sie und Melody würden es schaffen, wenngleich es eine Weile dauern mochte, bis sich ihre Tochter an die neue Situation gewöhnte. Sie musste ihr Zeit lassen, um ihr zu glauben, ihr zu vertrauen …
» Mama, ich hab einen Namen für das Kätzchen gefunden. «
Laurel stockte der Atem. Mama. Rasch wischte sie sich mit der Hand übers Gesicht, bevor Melody ihre Verwirrung bemerkte. Dann nahm sie den kleinen Kater in beide Hände und hielt ihn feierlich in die Luft. » Mein Kleiner, du bekommst jetzt einen Namen! Von diesem Tag an heißt du … « Sie schaute zu Melody hin.
» Mäuschen! «
Laurel biss sich auf die Unterlippe, denn nach der Größe seiner Ohren und Pfoten zu urteilen, würde er einmal ein großer, eindrucksvoller Kater werden. Dann hob sie ihn hoch in die Luft. » Mäuschen sollst du heißen. Und dieser Name wird in die Annalen der Katzengeschichte eingehen. «
» Du bist witzig, Mama. «
Sie konnte es nicht oft genug hören. Mama. Laurel legte das Kätzchen zurück in die Ärmchen ihrer Tochter. » Und du bist mein über alles geliebtes Kind « , flüsterte sie stumm.
Melody kletterte von ihrem Schoß. » Ich erzähl es Evan « , rief sie und eilte zur Tür. » Und Billywick und Wibblyforce und Papa … « Die Liste nahm kein Ende, und noch auf dem Weg nach unten hörte sie das Gemurmel.
So viele Menschen, denen sie es erzählen musste.
Würde sie irgendwann auch jemandem von ihrer Mama erzählen, die hier oben eingesperrt war? Sollte sie nur. Laurel war dieser Heimlichtuerei so verdammt überdrüssig – und so gerne würde sie aller Welt ihre großartige Neuigkeit mitteilen. Dass sie ihr totgesagtes Baby gefunden hatte.
Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und lehnte sich zurück, um die Deckenbalken zu betrachten – der Speicher kam ihr heute nicht mehr wie ein Gefängnis vor. Was nicht allein an den Teppichen lag, sondern vor allem an Melody, die mit ihrem Lachen Licht und Luft in diesen Raum gebracht hatte. Laurel spürte, wie ihr Brustkorb, der sich immer so eng
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