Ein verruchter Lord
zum Mund zu führen – mit einem Appetit wie schon lange nicht mehr. » Ich glaube nicht, dass ich welche habe. «
Melody schüttelte traurig den Kopf. » Das ist ja schlimm. «
Jack hielt es für ein Gebot der Höflichkeit, auf ihre Geschichte einzugehen. » Und wie ist Ihre eigene Warzenlage an diesem wunderschönen Morgen, Käpt’n Mellie? «
Ihre Miene hellte sich auf. » Ich hab eine Kröte berührt, also krieg ich eine! « Sie hielt ihren Zeigefinger in die Luft. » Kannst du sie schon sehen? «
Jack betrachtete ihren Finger ausgiebig und schüttelte bedauernd den Kopf. » Keinerlei Anzeichen für die Bildung von Warzen irgendeiner Art. Tut mir leid. «
Melody runzelte die Stirn. » Ich hoffe, sie kommt bald. Ich will die Kröte nicht noch mal anstupsen. Das hat sich eklig angefühlt. «
» Vielleicht fand die Kröte das ja aus ihrer Sicht ebenfalls « , gab er zu bedenken. Sie glitt daraufhin von ihrem Stuhl und kroch unter den Tisch, um zu Jack zu gelangen, der bereitwillig das Tischtuch anhob.
Madeleine hingegen, die gerade den Frühstücksraum betrat, schien das unpassend zu finden. » Melody, ich bitte dich! Man geht um den Tisch herum! «
Ohne das kleinste Zeichen von Zerknirschung kletterte das Kind auf Jacks Schoß. » Ich muss Papa trösten, Maddie. « Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und schmiegte den Kopf an seine Schulter. » Er hat keine einzige Warze. «
Madeleine zwinkerte Jack zu. » Herzlichen Glückwunsch « , meinte sie lächelnd und nahm ebenfalls Platz, während ihr auf einen Wink von Wilberforce bereits ein dampfender Frühstücksteller serviert wurde. Dazu ein Tee mit exakt so viel Milch, wie sie es liebte. Sie lächelte den Majordomus an. » Vorzüglich wie immer. «
Wilberforce verneigte sich. » Ich werde es dem Küchenchef ausrichten. Er wird entzückt sein. «
Jack, dem bei dieser Bemerkung siedend heiß einfiel, dass er selbst sich noch nie anerkennend über die gute Küche und den perfekten Service geäußert hatte, räusperte sich. » Bitte teilen Sie ihm auch meine Wertschätzung mit. «
Wilberforce blinzelte, was bei ihm als Ausdruck von großem Erstaunen, wenn nicht gar Erschrecken zu werten war. » Es ist mir eine Freude, Mylord. «
Madeleine schaute nicht weniger erstaunt drein und entschuldigte sich sogleich dafür. » Verzeih mir mein verdutztes Gesicht. Es ist bloß so ungewohnt, dich mit einer anderen Person sprechen zu hören als mit Melody. «
Das Kind nickte nachdrücklich. » Sie hat recht, Papa. Du redest fast nur mit mir. « Sie lehnte den Kopf erneut an seine Schulter. » Und mit Gordy Anne. «
» Gordy Anne ist eine sehr gute Zuhörerin. «
Madeleine verbarg ihr Grinsen hinter einer Serviette, während Melody zufrieden nickte. » Das sagt Onkel Colin auch immer. «
War Laurel eine gute Zuhörerin, fragte Jack sich. Wenn er ernsthaft mit ihr zu reden versuchte, würde sie überhaupt zuhören? Er wusste es nicht, und das belastete ihn. So oder so: Ihm blieb keine andere Wahl, als sich ihrem zornigen Blick zu öffnen und sie um Verzeihung zu bitten. Und vielleicht würde ihre Vergebung ihn ebenfalls erlösen von der Stille und der Dunkelheit der vergangenen Jahre.
Er musste sich zwingen, anders zu sein, aus sich herauszugehen, die Hand nach ihr auszustrecken, ihr Haar zu berühren, das Gesicht an ihrem Hals zu vergraben, die Hände über ihren Körper gleiten zu lassen, der jetzt viel üppiger und weiblicher war, so weich und heiß bei seiner Berührung …
» Jack? «
Mühsam tauchte er aus seinen Gedanken und seinen Fantasien auf. Die anderen hatten ihr Frühstück inzwischen beendet und den Raum verlassen. Nur Colin stand unter der Tür und schaute ihn mit gerunzelter Stirn fragend an. » Guten Morgen. Weißt du, wo Melody ist? «
» Ich habe sie vor einer Viertelstunde nach oben gehen sehen. « » Was ist bloß los mit dir? «
Oh, ich bin auf dem Dachboden gewesen. In Laurel.
» Entschuldigung, ich war ganz in Gedanken versunken « , erwiderte er schroff.
Colin hielt einen Toast in der Hand. » Du warst in der Tat versunken. Ich war kurz davor, dir einen Rettungsring zuzuwerfen « , sagte er grinsend.
Jack stand auf und warf seine Serviette auf den Tisch. Sein Frühstück hatte er nicht einmal aufgegessen. Er brauchte keinen Rettungsring. Er brauchte Laurel. Und natürlich Melody, das Wichtigste von allem. Seine Tochter, die ihm wieder das Leben, das Licht und die Farben zeigte.
Vielleicht brauchte er ja alle drei: Melody, Laurel
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