Ein vortrefflicher Schurke (German Edition)
…«, begann er, weiter kam er jedoch nicht, denn im nächsten Moment fiel praktisch ihre ganze Familie in den Raum ein: Oliver und Maria, Celia, Gabe, Jarret und Annabel, Großmutter und sogar Freddy und seine Frau Jane. Nur Jarrets Stiefsohn George fehlte, der bei seiner anderen Familie in Burton zu Besuch war.
Minerva sprang erfreut auf. Erst jetzt, als sie ihre Lieben sah, wurde ihr bewusst, wie sehr sie ihr gefehlt hatten. »Was macht ihr denn hier?«, rief sie und küsste und umarmte alle zur Begrüßung.
Ihre Großmutter sah sich mit hochgezogenen Augenbrauen um. »Celia sagte, du hast ihr die Nachricht zukommen lassen, dass ihr gar nicht nach Bath gefahren seid, und da haben wir gedacht, wir statten dir einen Besuch ab. Es wird ja auch Zeit, dass wir sehen, wo du wohnst.«
Celia fasste sie an den Händen und flüsterte ihr zu: »Dein Brief klang etwas bedrückt, fand ich, aber das habe ich
denen
nicht erzählt.«
Natürlich hatte ihre Schwester wieder einmal erahnt, was sie, Minerva, nicht auszusprechen wagte. Die Ehe mit Giles entwickelte sich nicht so, wie sie gehofft hatte, doch sie wollte ganz gewiss nicht, dass ihre Familie davon erfuhr.
»Nein, nein, mir geht es hervorragend«, antwortete sie leise und ignorierte Celias skeptischen Blick. »Hast du die Karte mitgebracht?«
Ihre Schwester nickte und steckte sie ihr verstohlen zu. Minerva ließ sie rasch in ihrer Schürzentasche verschwinden.
»Was für ein Raum ist das hier?«, fragte ihre Großmutter. »Sieht wie eine Bibliothek aus.«
»Es ist das Arbeitszimmer, das Giles für mich eingerichtet hat, damit ich einen Platz zum Schreiben habe«, erklärte Minerva stolz. Trotz der Spannungen zwischen ihnen rührte es sie jedes Mal, wenn sie an sein aufmerksames Geschenk dachte. »Er hat die Bücherregale eigens anfertigen lassen und mir den Schreibtisch und das Sofa und alles gekauft.«
»Wie reizend!« Annabel warf Jarret einen vielsagenden Blick zu. »Ich habe dir doch gesagt, dass er sich gut um sie kümmern wird.«
»Er ist nicht da, oder?«, wollte Jarret wissen.
»Er musste arbeiten.« Minerva sah ihren Bruder mürrisch an. »Er hat eine sehr wichtige Position, weißt du?«
»Er könnte sich loseisen, wenn er wollte«, erwiderte Jarret. »Das hat er früher auch getan und ist manchmal tagelang ohne jede Erklärung verschwunden.«
Ja, und sie hatte begonnen, sich darüber Gedanken zu machen, wohin er immer wieder so klammheimlich verschwand. Zuvor hatte sie sich nicht damit beschäftigt, aber seit Calais …
»Du hast nicht das Recht dazu, ihn dafür zu kritisieren, dass er so viel arbeitet«, wies Annabel ihren Mann zurecht. »
Du
hast vorhin noch selbst gesagt, du könntest nur kurz bei Minerva vorbeischauen, weil du eine Verabredung mit dem Fassbinder hast. Oder hast du das vergessen?«
»Verflixt und zugenäht!«, rief Jarret und gab Minerva rasch einen Kuss auf die Wange. »Tut mir leid, ich muss mich beeilen. Ich treffe euch anderen in der Stadt.« Er lief zur Tür, dann hielt er noch einmal inne und sah sie prüfend an. »Er behandelt dich doch wirklich gut, oder?«
Sie setzte ein verschmitztes Lächeln auf. »Gewiss doch – wenn man einmal davon absieht, dass er mich allabendlich verhaut.« Als Jarret eine Augenbraue hochzog, meinte sie: »Nun geh schon, sonst kommst du noch zu spät!«
»Er schlägt dich?«, fragte Freddy mit großen Augen.
»Es war ein Witz, alter Junge«, erklärte Oliver und klopfte ihm auf die Schulter. »Du kennst doch Minerva.«
»Natürlich, Schatz, ein Witz«, sagte Jane, obwohl sie einen Moment zuvor noch ebenso schockiert dreingeblickt hatte wie Freddy.
»Zeigst du uns jetzt endlich das Haus, mein Kind?«, bat Hetty.
»Aber ihr müsst bedenken, dass es noch nicht fertig ist«, entgegnete Minerva. »Ich habe noch viel zu tun, bis es so ist, wie ich es gern hätte.«
»Und Giles hat nichts dagegen, dass du dich um die Einrichtung kümmerst?«, fragte Maria erstaunt.
»Er hat jedenfalls nichts gesagt.«
»Dann ist er ein viel duldsamerer Ehemann, als ich gedacht habe«, murmelte Oliver.
Minerva ging voran und führte ihre Familie durch das Haus. Die anderen bewunderten den Kaminsims aus Jasperware und den Schmuckfries im Salon, den Kristalllüster im großen Speisezimmer und die elegante Chippendale-Frisierkommode im Schlafgemach.
»Du hast kein eigenes Schlafzimmer?«, fragte Oliver, als er ihr Notizbuch auf dem einen Nachttischchen und Giles’ juristische Fachzeitschrift auf dem anderen
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