Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
zu bekommen, weshalb er vorübergehend als Auslieferfahrer in der Firma seines Vaters arbeitet. Aber er beklagt sich nicht, und das finde ich toll.
»Du bist spät dran«, rüffele ich ihn und wackele mahnend mit dem Zeigefinger vor seiner Nase herum.
»Stimmt gar nicht«, verteidigt er sich, während er sich in denTürdurchgang drückt und mir mit behandschuhten Fingern eine braune Papiertüte entgegenstreckt. »Ich hab dir was Leckeres vom Bäcker mitgebracht. Ich werde mich hüten, hier ohne Frühstück anzutanzen.«
Und recht hat er. Seit ich hier arbeite, bringt Sam mir jede Woche mein Frühstück mit. Manchmal Kaffee und süßes Gebäck, manchmal Speck oder Würstchen und Eier auf Toast, und gelegentlich schleppt er sogar Pfannkuchen an, mit Heidelbeeren und Ahornsirup. Zu besonderen Gelegenheiten legt er sich so richtig ins Zeug. An meinem Geburtstag gab’s Sekt mit Orangensaft und eine Auswahl feinster Törtchen aus der Patisserie Valerie. »Aufmerksam« wäre ein weiteres Attribut auf der langen Liste der Gründe, weshalb ich Sam so mag.
Neugierig spinkse ich in die Tüte und merke mit einem Mal, dass ich einen Bärenhunger habe. »Mmm, mit Zimt und Rosinen, die mag ich am liebsten.« Ich beiße herzhaft hinein und habe den Mund plötzlich so voll, dass ich kaum noch Luft bekomme. Hektisch versuche ich zu kauen, ohne ihm kleine Bröckchen Blätterteig ins Gesicht zu spucken.
Amüsiert schaut er mich an. »Das sehe ich.« Dann weist er auf den Lieferwagen. »Soll ich schon mal ausladen?« Noch immer heißhungrig das süße Gebäck mampfend nicke ich ihm zu, und er flitzt raus zum Wagen. »Gieß mir schon mal einen Tee ein«, ruft er über die Schulter zurück. »Ich habe gerade noch Zeit für eine Tasse, ehe ich zu meinem nächsten Kunden muss. Ich muss ein bisschen auftauen. Es ist eiskalt hier draußen.«
Gehorsam trotte ich rüber zum Wasserkocher und freue mich, an meinem großen Tag ein bisschen Zeit mit ihm zu verbringen. Bisher habe ich noch niemandem ein Sterbenswörtchen davon gesagt, aber Sam muss ich unbedingt von meiner anstehenden Beförderung erzählen; der freut sich bestimmt ganz schrecklich für mich.
»Hunffff.« Sam hievt die letzten der schweren Kisten in eine Ecke, und als ich mich mit seiner Tasse in der Hand umdrehe, stehe ich vor einer raumhohen Wand aus Pappe.
»Na toll«, knurre ich scherzhaft und reiche ihm den Tee. » Noch mehr Zeug zum Auspacken.«
Sam trinkt einen großen Schluck Tee und wirft einen Blick auf die Kisten. »Muss wohl aus den aktuellen Kollektionen sein.«
Worauf ich nur die Augen verdrehe. »Die wann genau entworfen wurden? 1984?« Mit dem Trend zu gehen gehört nicht gerade zu Hardy’s Stärken.
Ich schlendere rüber zu den Kisten, nehme ein Teppichmesser, lasse es über den Deckel der ersten Kiste gleiten und schnappe förmlich nach Luft, als ich ein schimmerndes Paillettentop mit Schulterpolstern und geschlitzten Ärmeln herausziehe. »Moment mal, Sam, das ist ja entzückend .«
Nun mag ich zwar kein Modeexperte sein, doch selbst ich sehe auf den ersten Blick, dass das eine ganz andere Liga ist als die Kleidung, die wir normalerweise führen. Der hauchdünne Stoff unter der schützenden Plastikhülle ist so fein und leicht, dass er sich in meiner Hand anfühlt wie flüssige Seide. Und, o Gott , so wie es fällt , denke ich, würde es sogar an mir mit meinen Rundungen großartig aussehen. Ich kann der Versuchung kaum widerstehen, es rasch überzustreifen, aber angesichts Sams offensichtlichem Desinteresse werfe ich nur schnell einen Blick auf das Etikett.
»Florence Gainsbourg?«, lese ich und zucke die Achseln. »Nie gehört. Wieso bestellen wir solche Sachen?« Verwundert werfe ich einen Blick auf die Lieferadresse auf der Kiste. »Bist du ganz sicher, dass diese Lieferung wirklich für uns bestimmt ist, Sam?«
Das scheint ihn regelrecht zu kränken. »Habe ich jemals eine Lieferung verwechselt? Für diesen Job muss man nicht unbedingt Raketenforscher sein, weißt du?«
Abwehrend wedele ich mit den Händen. »Sei doch nicht so empfindlich. Ich kann bloß kaum glauben, dass einer unserer Verkaufsleiter so etwas bestellt. Das ist nicht unbedingt der typische Hardy’s-Stil. Der sieht eher so aus.« Womit ich mich zu einem Regal hinunterbeuge und eine riesengroße Reithose herauskrame, deren Bund ich dann zu seiner vollen Größe auseinanderziehe, um zu verdeutlichen, worauf ich hinauswill. Sam lacht, und ich werfe sie wieder ins Regal zurück
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