Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
war eine süße alte Dame, zwar eine grandiose Bäckerin, aber eine lausige Verkäuferin. Wenn ich mich recht entsinne, kam Lily eines schönen Frühlingstages im Jahr 1961 in den Laden geflattert. Es war jedenfalls kurz nachdem sie aufgrund einer Verletzung mit dem Tanzen aufhören musste. Sie liebte Mode und war Stammkundin in der Designerabteilung. Damals war sie Ende zwanzig, und eigentlich suchte sie gar keine Arbeit – sie war vollkommen zufrieden damit, in einer örtlichen Bühnenschule Tanz zu unterrichten –, aber sie sorgte mit ihrer bloßen Anwesenheit für einen solchen Wirbel, dass ich ihr die Stelle trotzdem anbot, unter der Voraussetzung, dass sie regelmäßig ihre Freunde aus Soho einladen und ein bisschen künstlerisches Flair in den Laden bringen würde. Und das hat sie auch getan. Sie kam mit den Prominenten und Künstlern genauso gut zurecht wie mit ganz normalen Kunden. Alle liebten Lily. Ihr kleiner Teesalon wurde zu dem angesagten Ort; man ging hin, um zu sehen und gesehen zu werden. Wobei«, er hüstelt ein wenig, »natürlich dazu kam, dass viele Leute einfach mal eine ehemalige Windmill-Tänzerin sehen wollten, die ihnen vollständig bekleidet Tee und Kuchen servierte. Das war mir klar. Und sie erwies sich als ebenso große Attraktion wie das Angebotdes Teesalons selbst. Genau wie ihre vielen Freunde.« Er lacht. »Als Kerl war mir sonnenklar, dass die Männer in Scharen in den Teesalon strömen würden, ihre Frauen im Schlepptau. Damals hatten die Männer das Geld in der Tasche, und wenn sie herkamen, konnten ihre Frauen derweil in Ruhe einkaufen. So einfach war das. Die Umsätze schossen gleich an ihrem ersten Arbeitstag in die Höhe. Walter junior hielt mich für ein Genie«, fügt er stolz hinzu.
Er stupst mich mit dem Ellenbogen in die Rippen und weist mit dem Kopf in Lilys Richtung. Die steht inzwischen hinter der Theke und mixt unter dem Beifall der wartenden Menge fachmännisch Wodka Martinis. Diese serviert der Barkeeper auf einem Tablett an unseren Tisch. Ihm auf den Fersen folgt Sam, der tut, als küsse er den Boden, auf dem Lily wandelt.
»Du bist wirklich eine Nummer, Lily!«, sage ich lachend, während der Barkeeper uns die Drinks hinstellt.
»Danke, Liebes.« Anmutig macht sie einen Knicks, schnappt sich ein Glas vom Tablett und drückt es mir in die Hand. »Und du ebenso. Einen Toast«, ruft sie, nimmt sich selbst das letzte Glas und hebt es über dem Tisch in die Höhe. »Auf Evie, Hardy’s hauseigenen Weihnachtswichtel. Möge sie noch lange so gute Arbeit leisten.« Ich erröte zart, als alle zusammen anstoßen.
»Auf Evie!«, tönt das Echo zurück.
»Evie?«, mischt Velna sich ein, und ich drehe mich zu ihr um. »Warum nennen dich denn alle anderen bei Hardy’s immer Sarah? Das ist gar nicht dein Name, nein?«
»Nein«, entgegne ich lächelnd, worauf sie die Lippen schürzt und den Mund verzieht.
»Und warum dann alle sagen Sarah, das Mädchen aus dem Warenlager?«, will sie wissen und kratzt sich sichtlich verwirrt am Kopf.
»Weißt du, Velna, ehrlich gesagt weiß ich das auch nicht«, entgegne ich und schaue mich am Tisch um. Ich sehe Sam und Felix und Lily, und plötzlich geht mir auf: Das sind meine wahren Freunde; die, auf die es wirklich ankommt. Die mich kennen – und mich mögen, wie ich bin.
»Und auf uns!«, sagt Felix und verlängert den Toast einfach, indem er sein Glas wieder hebt, »Evies auserwählte Helferlein.« Er hält inne, und dann grinst er wie ein Honigkuchenpferd. »Auf Evies Weihnachtswichtel!«, ruft er.
»Auf Evies Weihnachtswichtel!«, hallt es von allen Seiten zurück. Und ich habe plötzlich Freudentränen in den Augen, als ich sie so jubeln sehe. Draußen mag es zwar ein eiskalter Dezemberabend sein, aber innerlich bin ich ganz erfüllt von der Wärme dieser Freundschaft, die mich an diesem Abend wohlig warm umfängt.
Freitag, 9. Dezember
Noch sechzehn verkaufsoffene Tage bis Weihnachten
Fünfundzwanzigstes Kapitel
I m Warenlager geht es an diesem Morgen zu wie in einem Bienenstock. Ich weiß nicht, ob das die Nachwirkungen von Lilys tödlichen Cocktails sind, aber ich habe Mühe, überhaupt nachzukommen. Der Drucker spuckt im Sekundentakt Bestellungen aus, und mein bewährtes System, erst mehrere benötigte Artikel zu sammeln und dann mit dem Lastenaufzug, den wir im Warenlager haben, in den jeweiligen Stock zu schicken, scheint irgendwie völlig zu versagen. Ich habe bereits einige Dosen Talkumpuder in die
Weitere Kostenlose Bücher