Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
dabei schaue ich von einem zum anderen und sehe ringsum in die besorgten Gesichter. »Ich habe nicht vor aufzugeben, Lily. Dieser Laden bedeutet mir, wie so vielenanderen auch, viel zu viel, um einfach die Segel zu streichen. Aber allein schaffe ich es nicht mehr.«
»Wir helfen dir!«, ruft Velna sofort und stimmt eine unidentifizierbare Melodie an. Wir alle schauen sie verständnislos an, worauf sie kurz aufhört zu singen. »›Everyway That I Can‹«, erklärt sie uns vielsagend und zwitschert den Refrain. »Der Siegertitel aus der Türkei? 2003?« Dann schließt sie die Augen und singt weiter.
»Ja, was wir können tun, um zu helfen?«, fragt Justyna laut, um Velnas Geträller zu überstimmen. Ich glaube, dass ist der erste Satz, den sie je ohne die Zähne zu blecken zu mir gesagt hat.
»Na ja, ich glaube, ich hätte eine Idee, wie wir es schaffen könnten, dass die Leute Notiz von uns nehmen«, erkläre ich langsam. »Nicht bloß die Menschen, die vorbeischlendern und vielleicht mal wegen der umgestalteten Abteilungen im Erdgeschoss reinschauen.« Ich hole tief Luft und spüre, wie ich mit jedem Wort selbstbewusster und leidenschaftlicher klinge. »Wir brauchen noch wesentlich mehr Kunden. Ich möchte, dass die Shopping-Wütigen aus der Regent Street zu uns kommen, weil wir etwas ganz Besonderes zu bieten haben. Ich will, dass Londoner und Touristen und Tagesausflügler, die ins Westend kommen, hier ein wunderbar altmodisches Weihnachtseinkaufsspektakel erleben wie nirgendwo sonst.«
»Wunderbar«, murmelt Velna, und Lily klatscht entzückt in die Hände.
Aber ich bin noch nicht fertig. Unvermittelt lasse ich mich mitreißen von meiner Vision und meinem begeisterten Publikum, das mir an den Lippen hängt. »Ich will märchenhafte Schaufenster, traditionell, aber mit einem Augenzwinkern, bei denen einem die Augen übergehen und die Kinnlade runterklappt, und einen riesengroßen Weihnachtsbaum mitten im Laden gleich neben der Haupttreppe.« Die Worte purzeln mir förmlich aus dem Mund,als ich den einzigen Menschen, denen ich trauen kann, meine geheimsten Visionen ausbreite. »Ich will funkelnde Lichterketten und Rentiere und einen fliegenden Schlitten an der Decke. Ich will, dass die Kinder sich fühlen wie im Märchenland und die Erwachsenen ehrfürchtig erschauern. Es muss groß sein, es muss schön sein, und vor allem muss es all das sein, was die Menschen sich von Weihnachten wünschen und erträumen.«
Das Herz schlägt mir bis zum Hals, und ich bin ganz außer Atem, als ich schließlich fertig bin. Im ersten Moment ist es ganz still, und dann pfeift Felix auf den Fingern, und Jan johlt laut. Sam trampelt mit den Füßen und klopft zustimmend auf den Tisch, und dann schließt Justyna sich ihm an, während Lily mir über den Tisch ein Küsschen zuwirft. Und Velna summt tatsächlich Cliff Richards phänomenalen Eurovision-Erfolg »Congratulations«.
»Dann darf ich also annehmen, ihr seid dabei?«, frage ich mit einem breiten Grinsen.
»Ja!«, rufen alle im Chor, und ich muss lachen.
»Tja, dann gibt es viel für uns zu tun. Wie wäre es, wenn wir schon mal ein paar Ideen sammeln?«
Felix beäugt schwermütig sein leeres Glas.
»Die nächste Runde geht auf mich«, sagt Sam und steht auf. »Ich glaube, wir brauchen alle ein bisschen flüssige Inspiration, damit die Ideen besser fließen.«
»Ich weiß, was wir jetzt brauchen«, meint Lily, schlängelt sich hinter dem Tisch hervor und geht rüber zu Sam. »So, mein Lieber, wärst du so nett, mir den Arm zu reichen und mich zur Theke zu führen?«
Lächelnd sehe ich zu, wie Lily sich von Sam wegführen lässt.
»Was die wohl ausheckt?«, frage ich Felix.
»Nichts als Unfug, wie ich Lily Carmichael kenne!«, entgegnet Felix grinsend. »Die weiß, wie man den Männern den Kopfverdreht. Das ist einer der Gründe, weshalb ich sie damals eingestellt habe.«
Mit heruntergeklappter Kinnlade schaue ich ihn an und ärgere mich, dass ich so mit den Umgestaltungsmaßnahmen und mit Joel beschäftigt war, dass ich ganz vergessen habe, Felix ein bisschen auszufragen. »Eine der besten Entscheidungen meines Lebens«, erklärt er. »Das war kurz nachdem Walter Hardy junior mich zum Verkaufsleiter befördert hatte. Sie war sogar die erste Mitarbeiterin, die ich selbst eingestellt habe. Der Teesalon warf kaum etwas ab, und mir war klar, dass es nicht am Salon selbst lag oder den Törtchen oder der Qualität der Getränke, sondern an der Dame, die ihn führte. Sie
Weitere Kostenlose Bücher