Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
fällt es mir ja auch so schwer, die Finger von ihm zu lassen.
Tumb starre ich auf das Telefon und sehe tatenlos zu, wie die Mailbox rangeht, wobei ich mir schwöre, ihn nachher zurückzurufen. Es gibt für mich nur eine Möglichkeit, mit der Schuld umzugehen, die ich auf mich geladen habe, und das ist, Carlys Haut zu retten und die Leute in dem Glauben zu wiegen, Carly sei tatsächlich für die Neugestaltungen verantwortlich. Auch wenn Carly sich schon selbst an der Designerabteilung versucht hat, muss ich die noch mal grundlegend umkrempeln, und zwar so, dass Rupert und Sharon Bauklötze staunen und die anderen Angestellten Carly endlich wieder mit dem gebührenden Respekt begegnen. Und dann brauche ich auch kein so schlechtes Gewissen zu haben, wenn ich mich mit Joel treffe. Denn das muss ich. Ich muss einfach.
Einunddreißigstes Kapitel
H allo, ich bin’s«, säusele ich von meinem Plätzchen in der hintersten Ecke des Lagerraums, in der ich gerade von einem wahren Wald traumhafter Roben in schimmernden Plastikhüllen umgeben hocke. Den ganzen Nachmittag habe ich damit zugebracht, mir aus Carlys Einkäufen die Rosinen herauszupicken und die Umgestaltung ihrer Abteilung zu planen. Kein Zweifel, mit Mode kennt das Mädel sich wirklich aus, denke ich, während ich mit den Fingern über ein traumhaftes schmales drapiertes Kleid in Zartbeige streiche – dann fällt mein Blick auf ein mit Ketten dekoriertes ultrakurzes Minikleid aus schwarzem Leder, das bei den ausrangierten Sachen liegt, und ich verziehe das Gesicht –, nur Hardy’s Kunden kennt sie nicht. Ich klemme mir das Handy unters Kinn und schwelge im satten tiefen Ton von Joels Stimme, die mir sanft ins Ohr raunt.
»Sieh an, hallo Fremde«, sagt er leise. »Ich hatte gehofft, dass du mich anrufst. Aber nachdem du am Sonntag Hals über Kopf weggelaufen bist, war ich mir da nicht so sicher.«
»Es tut mir leid«, stammele ich beschämt.
»Was war denn los?«, fragt Joel, und die Anspannung ist ihm deutlich anzuhören.
»I-ich bin einfach ein bisschen ausgeflippt«, entgegne ich, was wohl die Untertreibung des Jahrhunderts ist. »Ich fand es so schön mit dir, und dann musste ich daran denken, dass du bald wieder nach Hause zurückgehst, und ich hatte das Gefühl, alles geht so schrecklich schnell …«
»Aber ich habe dir doch gesagt, du kannst gerne mitkommen«, unterbricht er mich und überfährt mich damit ein wenig. »Warum tust du’s nicht?«
»Was?«
»Mit mir nach Hause fliegen und meine Familie kennenlernen. Die werden hin und weg sein von dir. Und Weihnachten in den USA wird dir sicher gefallen. Auch wenn wir Weihnachten selbst nicht da sind, ist ja noch alles dekoriert und …«
Eine wahre Flut märchenhafter Bilder strömt auf mich ein: Popcorn und Cranberrys, zu Girlanden aufgefädelt; verschneite Bürgersteige, Kürbiskuchen, der nur so strotzt vor weihnachtlichen Gewürzen, Eierpunsch mit einem Schuss Rum, rot-weiß gestreifte Zuckerstangen, große Kaufhäuser mit opulenter Weihnachtsdekoration und traumhaft verpackte Weihnachtsgeschenke.
»Da-das geht nicht«, stottere ich.
»Und warum nicht?«
Aber ich höre kaum hin. Er möchte, dass ich SEINE FAMILIE KENNENLERNE? Zu WEIHNACHTEN? Und, lieber Himmel, wie gern ich das auch möchte. Seit Jamie und ich uns getrennt haben, sitze ich jedes Jahr zu Weihnachten mit meinen Eltern, Delilah und Will und Jonah und Noah und ihrem sich unermüdlich drehenden Freundinnenkarussell am Esstisch und muss mich aufziehen lassen, weil ich immer noch Single bin, weshalb ich auch so sinnige, schrecklich komische Geschenke bekomme, wie ein Buch mit dem Titel Wie man Karriere macht von meinem Dad, Die Göttin am Herd von der Kochbuchautorin Nigella Lawson von meiner Mum, eine wirklich witzige aufblasbare männliche Gummipuppe von meinen Brüdern (nein, wirklich) und ein zum Niederknien schönes Designerkleidungsstück von meiner Schwester, allerdings so klein, dass ich mich da in einer Million Jahre nicht reinquetschen könnte. Was würde ich darum geben, Weihnachten dieses Jahr mit Joel zu verbringen. Vor allem und allen einfach wegzulaufen. Und auf einmal bin ich mitten in einem Tagtraum, in dem wir beide nach Pennsylvania durchbrennen und gemeinsam die Leitung seines Kaufhauses übernehmen und glücklich bis ans Ende unserer Tage sind. Ich kann mir schon lebhaft unsere Abschiedsparty vorstellen, mit Fahne und Cupcakes und allem Pipapo, und im Hintergrund dudelt »The Star Spangled Banner«. Ich
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