Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
sehe schon, wie Lola und Raffy sich heulend an meine Beine klammern und brüllen: »Geh nicht weg, Tivie, wir haben dich lieb, nimm uns mit!«, während ich ihre kleinen Köpfe mit Küssen überschütte. Aber dazu müsste er wissen, wer ich wirklich bin. Er hat sich in eine Frau verguckt, die es eigentlich gar nicht gibt. Würde er die Wahrheit erfahren, er würde mich fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.
Oder nicht?
Je besser ich Joel kennenlerne, desto mehr glaube ich, er könnte sich vielleicht, eventuell in mich verliebt haben. In mich. Evie. Ich meine, schließlich haben wir eine Menge gemeinsam: Er liebt seine Familie, genau wie ich, er möchte ankommen und eine eigene Familie gründen, und so vernarrt, wie er wohl in seine Ex war, scheint er eine ziemlich treue Seele zu sein. Und er ist loyal zu seinen Freunden – wie er Rupert beisteht, um Hardy’s finanzielle Schieflage zu beseitigen, ist einfach vorbildlich. Hätte ich ihm von vornherein die Wahrheit gesagt, säße ich jetzt nicht so in der Tinte. Dann würde ich jetzt womöglich schon mein Sparschwein schlachten, um ein Flugticket zu kaufen, und gerade das Weihnachtsfest meiner Träume planen. Hätte ich doch bloß den Mumm, ich selbst zu sein.
Dann geht mir schlagartig auf, dass Joel sicher eine Erklärung erwartet.
»Da-das könnte ich nicht … meine Familie einfach im Stich lassen«, stammele ich. »Meine Schwester, na ja, sie hat gerade Eheprobleme und braucht mich.«
»Über die sprichst du so selten«, sagt er. »Steht ihr euch sehr nahe?«
»Ja«, antworte ich, ohne nachzudenken. Aber dann fällt mir ein, wie lange es her ist, seit wir uns das letzte Mal richtig unterhalten haben, ohne eisige Stimmung, spitze Bemerkungen und Schuldzuweisungen. »Tja, zumindest bis vor Kurzem«, sage ich traurig, um dann hinzuzufügen: »Das ist eine lange Geschichte.«
»Das glaube ich«, meint Joel lachend, und plötzlich wünsche ich mir, er würde nachfragen und die ganze Geschichte hören wollen. Tut er aber nicht. »Also, es ist wirklich lustig, dass du gerade jetzt anrufst. Rate mal, wo ich bin?« Er macht eine klitzekleine Kunstpause. »Bei Hardy’s!«, verkündet er freudestrahlend.
»W-wo denn?«, stammele ich erschrocken.
»Wenn du mich so fragst, in der Designerabteilung!«, verkündet er stolz. »Ich dachte, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt …«
Mein Magen krampft sich zusammen. O Gott. Nicht schon wieder. Warum tut er mir das an?
»Toll!«, rufe ich fröhlich. »Super! Bin sofort da.« Schnell begutachte ich die Kleider ringsum und schnappe mir einen Armvoll davon. »Ich, ähm, ich hole gerade ein paar Sachen ab … für … für die Einkaufsberatung. Bis gleich!«
Schnell pfeffere ich mein Handy in die Ecke und taumele den Mittelgang entlang zur Tür, vollbepackt wie ein Lastenesel mit traumschönen, erlesenen Designerroben. Ich muss sofort da hoch und Carly suchen. Und dann muss ich Joel ablenken, und dann … dann … dann, tja, ehrlich gesagt weiß ich nicht, was ich dann machen soll. Ich muss mir wohl einfach was einfallen lassen.
Hektisch renne ich die Treppe hinauf und schlängele mich schnaufend und hechelnd zwischen irritierten Kunden hindurch, wobei ich krampfhaft versuche, die verrutschenden Kleider festzuhalten, damit ich sie nicht zwischen die Füße bekomme, und wünsche mir, ich hätte meine guten alten flachen Schuhe an und nicht die Siebziger-Jahre-Keilabsatzpumps, die ich letzte Woche bei Spitalfields entdeckt habe.
»Mist!«, jaule ich, als ich über die letzte Stufe stolpere und auf den Boden purzele, eine Hand in die Höhe gereckt wie die Freiheitsstatue. Dann erscheint ein Paar auf Hochglanz polierter Herrenschuhe vor meinen Augen, und als ich aufschaue, sehe ich Joel mit amüsiertem Gesicht über mir stehen. Mein Blick wandert sofort zu einem ganz speziellen Körperteil.
»… kennt augenscheinlich keine Grenzen«, gluckst Joel und hilft mir wieder auf die Beine.
»Wie bitte?«, frage ich und reiße den Blick von seinen Lenden weg, um missbilligend den zerknitterten Kleiderberg zu mustern, auf dem ich liege. Die Kleider muss ich nachher unbedingt zum Bügeln bringen.
»Ich sagte«, wiederholt er, »deine Begeisterung, mich wiederzusehen, kennt augenscheinlich keine Grenzen.«
»Oh, ja, genau, ja, ja, sehr komisch. Autsch.«
»Verletztes Ego?«, erkundigt Joel sich mitfühlend, legt den Arm um meine Taille und stellt mich sanft auf die Füße.
»Nein, verletztes Knie«, entgegne ich und
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