Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
Urplötzlich habe ich die beiden als Tiere vor Augen – Rupert als missgelaunter Eber und Sharon als gackerndes Huhn, das ständig auf ihn einhackt. Ihre Annäherungsversuche prallen an ihm ab. Er weicht vor ihr zurück und dreht ihr den Rücken zu, worauf Sharon ungelenk ins Straucheln gerät. Schnell stellt sie sich wieder in Positur; diesmal hat sie eine Hand in die Hüfte gestemmt und stützt sich mit der anderen an einem Regal ab. Fast sieht es aus, als wolle sie gleich das »Teekesselchen«-Lied singen und tanzen. Die arme Sharon, sogar ich kann besser auf sexy machen als sie.
»Ich möchte diesem wunderbaren alten Laden noch eine letzte Chance geben«, sagt Rupert mit stiller Entschlossenheit. Er scheint mehr mit sich selbst zu sprechen als mit Sharon, aber ich finde die Leidenschaft beeindruckend, die in seiner Stimme mitschwingt. »Das ist mein Familienerbe«, fährt er mit vor Rührung erstickter Stimme fort. »Mein Urgroßvater hat dieses Unternehmen gegründet, und für ihn und meinen Großvater war dieses Kaufhaus ihr ganzes Leben. Ich bin hier aufgewachsen, und ich weiß, wie großartig dieses Haus einmal war. Und ich werde alles daransetzen, dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen und das Steuer herumzureißen.«
Sharons Arm ist allem Anschein nach während dieser kleinen Ansprache eingeschlafen und hängt nun schlaff an der Seite herunter. Als er sich zu ihr umdreht, reißt sie ihn ruckartig hoch.
»Aber ohne deine Hilfe schaffe ich das nicht.«
»Du weißt, ich würde alles tun, um dir zu helfen, Rupert«, schnurrt Sharon. Sie geht einen Schritt auf ihn zu und streicht ihm mit den Fingern über den Arm. »Du brauchst mir nur zu sagen, was du … willst.«
Rupert schluckt schwer. »Ich will, dass du unseren Umsatz bis Weihnachten verdreifachst«, gibt er nervös zurück.
»WAS?«, kreischt Sharon entgeistert und taumelt einen Schritt nach hinten. »Das ist unmöglich!«
»T-t-tja dann«, stammelt er, »muss ich mir wohl eine andere Geschäftsführerin suchen, die daran glaubt, dass es das nicht ist. Ähm, dass es möglich ist, meine ich.«
»Das ist doch nicht dein Ernst«, japst sie entsetzt. »Du würdest mich doch nicht einfach auf die Straße setzen. Das könntest du nicht.«
Seufzend sackt Rupert förmlich in sich zusammen. Ich bin mir ziemlich sicher, gerade wünscht er sich inständig, er wäre wieder auf seinem Bauernhof und könnte sich in Ruhe seinen Rindern widmen.
»Sharon, ich glaube, du begreifst den Ernst der Lage nicht. Wenn wir unseren Umsatz bis zum zweiten Weihnachtstag nicht mindestens verdoppeln, dann wird das Geschäft verkauft. Rumors sucht seit einiger Zeit ein Grundstück in erstklassiger Lage für das neue Aushängeschild der Kette in London, und in ihrenAugen wäre dieser Standort ideal. Sie haben ein lukratives Angebot gemacht, und der Vorstand erwägt ernsthaft einen Verkauf. Uns bleibt nicht mal mehr ein Monat Zeit, um das Ruder herumzureißen. Sollte uns das nicht gelingen, dann wird Hardy’s verkauft, und das alte Familienunternehmen ist Vergangenheit. Unwiederbringlich«, fügt er traurig hinzu.
Danach ist es still.
»Also gut, wie lautet dein Plan?«, fragt Sharon schließlich mit gedämpfter Stimme.
Matt zuckt er die Achseln. »Ich hatte gehofft, du hättest vielleicht einen. Ich weiß eigentlich nur, dass wir in den schwächsten Abteilungen Stellen einsparen müssen. Die Herrenabteilung ist eine einzige Katastrophe. Seit Monaten liegt der Tagesumsatz bei nicht mal hundert Pfund. Guy muss gehen. Und Gwen …«
*
Als ich nach Ende meiner Schicht den Laden verlasse, kommt es mir vor, als überließe ich einen alten Freund seinem grausigen Schicksal. Armes Ding, denke ich mit einem Blick zur Fassade aus Zeiten Edwards VII. Und erst da geht mir auf, dass zwei Buchstaben aus dem Ladenschild fehlen. Das Y und das S, die nur noch am seidenen Faden hingen, sind abgegangen und runtergefallen, sodass nun auf dem Schild zu lesen steht: »Hard«.
Ich schlucke die aufsteigenden Tränen herunter. In der Tat, Hardy’s stehen harte Zeiten bevor. Und das Schlimmste ist, meine anderen Kollegen ahnen nicht, was uns noch alles erwartet. Wie eine tonnenschwere Last spüre ich den gewaltigen Verlust, den der Verkauf des Kaufhauses nicht nur für mich, sondern für uns alle bedeuten würde, auf den Schultern. Dieser Laden war lange Zeit ein sicherer Zufluchtsort für so viele Menschen. Beim Gedanken daran, einer von ihnen könnte so kurzvor Weihnachten seinen
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