Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
Er ist noch da. Sie sind sich über den Weg gelaufen. Tja, das war’s dann wohl. Zeit, die Karten auf den Tisch zu legen.
»Mensch, der ist echt zum Anbeißen«, keucht sie atemlos. »Findest du nicht?« Entsetzt schnappe ich nach Luft, als sie einfachkurzerhand die Tür des Warenlagers aufreißt und ich Joel nur ein paar Schritte von uns entfernt stehen sehe, wie er sich in der Kosmetikabteilung umschaut, in der sich immer noch die Kunden drängen. Mit einem Hechtsprung verschwinde ich hinter Carly, aber ich kann noch gerade so sein Profil ausmachen. Er nimmt ein iPad heraus und macht sich Notizen. Dann schaut er wieder auf, aber zum Glück in die andere Richtung. Schnell springe ich zur Tür und schlage sie zu.
»Hey, was sollte das denn?«, ruft sie empört. »Du hast mir die Aussicht ruiniert! Und was für eine Aussicht!«
Ich zucke bloß die Achseln, und sie macht die Tür einen Spaltbreit auf und späht hinaus. Jetzt sollte ich reinen Tisch machen. Wenn Joel mit Rupert zusammenarbeitet, wird er wohl in nächster Zeit öfter hier sein, also wird er früher oder später die echte Carly kennenlernen, und mir fehlt einfach die Kraft, diese alberne Scharade noch länger aufrechtzuerhalten.
Entschlossen atme ich durch. »Es ist so, Carly –«, setze ich an.
»Er hat mich richtig angestarrt, als ich an ihm vorbeigegangen bin, weißt du«, sagt sie und fällt mir einfach ins Wort. »Ich verstehe bloß nicht, warum er nicht herkommt und mich nach meiner Nummer fragt. Ist doch nicht zu übersehen, dass ihm beinahe die Augen aus dem Kopf fallen. Und warum sollte er sonst noch mal in diesen Saftladen kommen?«
Bei diesen Worten sträuben sich mir die Nackenhaare. Kennt sie denn gar keine Loyalität? Aber ich lasse diese Bemerkung unkommentiert, weil ich unbedingt sagen muss, was ich zu sagen habe.
»Also«, versuche ich es noch einmal, schlage die Augen nieder und hole tief Luft, »es ist so … er ist wegen mir hier.«
»Was?« Mit vollkommen ungläubigem Gesicht schaut sie mich an, und Schweigen macht sich breit. Doch dann grinst sie plötzlich übers ganze Gesicht und bricht in schrilles Gelächter aus.»Oh, hiii hiii, oh, du bist einfach zu komisch, Schätzchen, wirklich .« Sie legt mir eine Hand auf die Schulter. »Der war echt gut. Beinahe wäre ich darauf reingefallen.«
Ihre Worte treffen mich wie Pfeile in die Brust. Und einer schmerzt mehr als der andere, weil ich genau weiß, dass Carly es nicht böse meint. Aber der Gedanke, Joel könne was von mir wollen, ist einfach zu absurd. »Also, willst du kurz Pause machen? Du könntest mir Rückendeckung geben, wenn ich rausgehe und mit dem Sahneschnittchen rede. Er scheint ziemlich schüchtern zu sein …«
Ich wende den Blick ab, als der Drucker anfängt, etliche neue Bestellungen auszuspucken. Auf einmal ist mir schlecht. Und das Letzte, was ich jetzt noch will, ist irgendwas essen. Von mir aus soll sie rausgehen und Joel ansprechen. Ich bin doch nicht so blöd, mit ihr konkurrieren zu wollen.
Während ich ihr antworte, kümmere ich mich um die erste Bestellung, damit ich sie dabei nicht ansehen muss. »Nein«, entgegne ich schmallippig. Das Wort fühlt sich seltsam an auf meinen Lippen, beinahe wie ein Fremdkörper. »Geh lieber allein. Ich habe zu viel zu tun.« Ich drehe mich um, weil ich sehen will, wie sie darauf reagiert, aber da schlägt die Tür auch schon hinter ihr zu.
Siebzehntes Kapitel
I ch bleibe noch eine ganze Stunde im Lager, obwohl ich eigentlich längst Feierabend habe. Aber sämtliche Normalität scheint sich in letzter Zeit aus meinem Leben zu verabschieden. Ich weiß, eigentlich habe ich mir sehnlich eine Veränderung gewünscht, aber jetzt ist alles so anders, dass ich gar nicht mehr weiß, wo mir der Kopf steht. Ich fühle mich unwohl in meiner Haut und weiß nicht mehr, wer ich eigentlich bin.
Irgendwie bin ich felsenfest davon überzeugt, dass Joel diese ganze Scharade bald durchschauen wird. Womöglich hat Carly sich ihm schon vorgestellt. Und dann geht ihm natürlich sofort auf, dass sie die Einkaufsberaterin ist, von der er schon so viel gehört hat. Das sieht man doch auf den ersten Blick. Und ich? Mich sieht er dann als das, was ich wirklich bin: ein verzweifeltes Mädchen, das für ein bisschen Romantik und Aufregung in seinem Leben fast alles tun würde. Und recht hätte er.
Langsam packe ich meinen Rucksack. Als ich mir sicher sein kann, dass Joel und Carly längst fort sind, wage ich mich endlich aus meinem
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