Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
ihren Profi-Kameras eifrig alles knipsen, was ihnen vor die Linse kommt. Sie wirken so glücklich, einfach nur hier zu sein. Und ich weiß, das sollte ich eigentlich auch sein. Ich liebe London, vor allem zu dieser Jahreszeit. Ganz ehrlich, ich wüsste nicht, wo ich jetzt lieber wäre. Wie gerne beobachte ich die Menschen, wenn sie in die Schaufenster spähen und auf die Weihnachtsdekoration zeigen und staunend die Lichter über ihren Köpfen bewundern. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich liebe die Dekoration in der Bond Street. Und dann die blitzende Weihnachtsbeleuchtung, die schlanken, eleganten Bäume und der traumschöne Baldachin aus Lichtern, der wie ein zartes Gespinst die Regent Street überspannt. Aber die aufwendige Disney-Filmkulisse in der Oxford Street kommt mir irgendwie ein bisschen … aufgesetzt vor. Als ginge es bei Weihnachten nur ums Marketing und den Zauber des Geldverdienens, nicht um den Zauber, anderen Menschen eine Freude zu bereiten, dabei sollte es doch eigentlich genau darum gehen, oder?
Nennen Sie mich ruhig altmodisch, aber ich persönlich halte nichts davon, dass die Hauptattraktion der Weihnachtsdekorationen in meiner Stadt nicht mehr ist als eine bessere Reklame. Nein, mir persönlich wären Hunderte altmodischer Lichterketten und traditioneller Schmuck viel lieber. Ich wünsche mir ein Weihnachtseinkaufserlebnis, bei dem die Menschen bunte Mäntel und ein strahlendes Lächeln tragen, Händchen haltend heiße Schokolade schlürfen und nachher mit zwei Armvoll perfekt eingewickelter Päckchen nach Hause gehen. Ich wünsche mir Kerzen und Lampions, Cranberrys, Popcorn und Eierpunsch und knallbunte Knallbonbons aus Krepppapier.
Womöglich stehe ich damit allein auf weiter Flur, denke ich, als ich an einem Kaufhaus nach dem anderen mit kunstvoll arrangierten Weihnachtsauslagen in den Schaufenstern vorbeilaufe. Ich kehre Topshop mit den vielen Kunden, die noch immer begierig in den Laden strömen, den Rücken zu, und überquere an der Fußgängerampel am Oxford Circus die Straße. Dann gehe ich die Argyll Street entlang – vorbei am London Palladium, wo ich als Kind mit meinen Eltern viele glückliche Stunden verbrachte – und bleibe schließlich vor Liberty stehen. Liberty war immer schon mein Lieblingskaufhaus (abgesehen natürlich von Hardy’s). Aber heute Abend bin ich etwas enttäuscht von dem Anblick, der sich mir bietet. Selbst dieser wunderbare alte Laden hat sich in diesem Jahr für eine »moderne« Weihnachtsdeko entschieden. In dem Schaufenster, vor dem ich gerade stehe, lehnt ein Mannequin gegen eine mit Graffiti im Banksy-Stil verschmierte Backsteinmauer, daneben ein Haufen Kunstschnee und eine nackte Parkbank. Angewidert verziehe ich den Mund. Das ist Liberty, Himmel noch eins! Mit seiner herrlichen elisabethanischen Fassade, den Tudor-Säulen und der handgeschnitzten Mahagonitreppe ist es ein Symbol für den traditionellen, altmodischen englischen Luxus im Herzen des Westends. Wieso haben plötzlich alle diesen Fimmel und meinen, auf modern machen zu müssen?
Langsam gehe ich die Kingly Street entlang und schaue mir auch noch die anderen Schaufenster an, die genauso wenig traditionell weihnachtlich sind wie das erste. Verräter. Im nächsten Fenster wurden die Köpfe der Schaufensterpuppen durch Fuchsköpfe ersetzt. Kopfschüttelnd gehe ich weiter in Richtung Regent Street, die ich dann überquere und auf dem Weg zur Oxford Street und zum Marble Arch links liegen lasse. Ich bin tief enttäuscht, dass mein kleiner Abstecher zu Liberty mich nicht wie erhofft in Weihnachtsstimmung gebracht hat.
Schließlich bleibe ich kurz stehen und erstehe bei einem freundlichen Straßenhändler ein Tütchen gerösteter Maronen. Gierig stopfe ich mir gleich mehrere davon in den Mund, die sofort ein süßes Geschmacksfeuerwerk an meinem Gaumen zünden. Dann laufe ich weiter die Oxford Street hinunter und fahre mit der Hand immer wieder in die Tüte, um die köstlichen Maronen herauszuangeln und sie hungrig zu verschlingen. Da erst geht mir auf, dass ich mich nicht daran erinnern kann, wann ich das letzte Mal was gegessen habe. Ich gehe weiter und kann einfach nicht anders, als mir im Vorbeigehen sämtliche Auslagen in den Schaufenstern anzusehen und mich zu fragen, was sie zu einem besonderen Hingucker macht. Gibt es eine Zauberformel, und wenn ja, wie lautet sie?
Und dann stehe ich unversehens vor Selfridges, dieser eleganten hundert Jahre alten Institution, die bei der Wahl zum
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