Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
durch die Menge. Am Leicester Square ist zwar mehr Platz, dafür sind dort aber unglaublicherweise auch noch mehr Menschen unterwegs. Der Weihnachtsmarkt ist in vollem Gange, aber ich laufe eilig daran vorbei und werfe nur schnell noch mal einen Blick über die Schulter zurück, um im Schein der Neonlichter Hunderte fröhlicher Gesichter zu sehen.
Ich ziehe den Mantel fester um meinen Körper, während ich durch die Straßen rausche. Es ist ein kalter Abend; mein Atem formt kleine Dampfwölkchen wie Zigarettenrauch, und unwillkürlich stelle ich mir vor, ich sei Lily in jungen Jahren, die gerade ihre Schicht als Tänzerin im Windmill beendet hat und nun auf dem Weg zu einer Verabredung auf ein paar späte Drinks mit einem ihrer Verehrer eine Zigarette raucht. In meiner Aufmachung fällt mir das nicht schwer. Ich habe mir auch noch eine süße cremefarbene Baskenmütze am Hinterkopf festgesteckt, wobei ich sorgsam darauf geachtet habe, Lilys kunstvolle Victory Roll beim Aufsetzen nicht zu zerstören. So versunken bin ich in meinen Tagtraum vom London der fünfziger Jahre, dass ich erst im letzten Moment merke, wie ich an dem riesigen Weihnachtsbaum am Trafalgar Square vorbeilaufe. Die imposante, zwanzig Meter hohe Fichte steht stolz neben Nelson’s Column, eingerahmt von sprudelnden Springbrunnenfontänen und sanft hinterleuchtet vom warmen apricotfarbenen Licht der National Gallery. Es sieht aus wie aus einem Märchen, und ich muss einfach einen Augenblick stehen bleiben und mit gefalteten Händen andächtig die Szenerie bewundern, während der würzige Duft frischer Tannennadeln meine Nase kitzelt und meine Fantasie anregt.
Joel wartet schon vor der Station Charing Cross, als ich ganz außer Atem die Treppe hinaufsprinte. Heute Abend ist er viel lässiger gekleidet als sonst; er trägt einen dicken dunkelgrauen Rollkragenpulli, der sich um sein Kinn schmiegt und ihm einen dunklen Schatten ins Gesicht zaubert. Dazu trägt er Jeans, die etwas zu verwaschen ist, um trendy zu sein. Aber ich will mal nicht so sein. Amerikaner sind ja berühmt-berüchtigt dafür, unmögliche Jeans zu tragen. Man denke nur an Tom Cruise oder George Cloony. Und außerdem kann ich mich an die eigene Nase fassen. Ich bin auch nicht unbedingt eine große Modeexpertin. Wobei ich das in meiner derzeitigen Rolle als »Einkaufsberaterin« ja eigentlich gerade sein müsste.
»Wow.« Lächelnd schaut er mich an und begutachtet mich von Kopf bis Fuß, wobei seine Blicke über meinen Körper tanzen, als sei ich ein Parkett. Und als unsere Blicke sich dann treffen, werden seine Augen zu fröhlichen Halbmonden. Er gibt mir einen sanften Kuss auf die Lippen. Ich versuche, nicht zu erröten, während ich mich für meine Verspätung entschuldige.
»Das ist doch das Vorrecht schöner Frauen, oder nicht?«, meint er neckisch, während er mir ganz leicht den Arm auf den Rücken legt. Die Berührung lässt mich nach Luft schnappen und schickt kleine Schockwellen der Erregung durch meinen Körper, und es kommt mir fast vor, als stünde ich unter Strom; eine Spannung, die zwischen seinem warmen Körper und der eisig kalten Dezemberluft entsteht.
Seite an Seite gehen wir los. Ich spüre, wie seine Hand zufällig meine streift, als würde sie magnetisch angezogen.
Atme, um Himmels Willen, Evie, atme.
» Und, wie war’s beim Babysitten?«, fragt Joel, während er mich den Strand entlangführt. Er scheint in Plauderlaune, und seine Hand liegt nun ganz unten auf meinem Rücken. Ich versuche mich zu konzentrieren und erzähle ihm von Raffy und Lola, wobei mir dann siedend heiß einfällt, dass die beiden ja angeblich bloß Kinder von »Freunden« sind und nicht mein Neffe und meine Nichte. Er lacht genau an den richtigen Stellen, als ich ihm Geschichten von den beiden erzähle, und macht sogar herzallerliebste »Awww«-Geräusche, als ich Lola beschreibe. Dann sagt er, er hätte eines Tages zu gern eine Tochter.
Der Mann kann doch nicht echt sein! Ein erfolgreicher, interessanter, sexy Kerl, der tatsächlich anruft, wenn er es verspricht, und auch noch Kinder mag.
Jetzt erzählt er mir gerade, wie sehr er Weihnachten liebt und wie seine Familie zuhause in Pennsylvania das Fest begeht. Ich habe nur noch Ohren für seine Beschreibung ihrer traditionellen amerikanischen Weihnachtsfeierlichkeiten. Es wimmelt nur so von Eierpunsch und Zuckerstangen und Preiselbeeren und Popcorn, das an Schnüren als Girlande um den Weihnachtsbaum gewickelt wird. Unvermittelt
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