Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
überkommt mich das dringende Verlangen, das alles mit ihm gemeinsam zu erleben.
Was ich natürlich niemals zugeben würde. Ich meine, schließlich bin ich kein totaler Vollidiot. Seine Augen strahlen, als er liebevoll von seiner Mutter erzählt, seinem Vater und den Brüdern zuhause, und plötzlich kommt es mir vor, als könne The Strand auch in Sibirien sein; es ist, als seien wir ganz allein auf der Welt.
»Sie fehlen dir, stimmt’s?«, sage ich.
Er nickt. »Wir stehen uns sehr nahe. Mir macht es wirklich zu schaffen, gerade zu dieser Zeit nicht zuhause zu sein. Dieses Jahr war ich zum ersten Mal überhaupt nicht zu Thanksgiving daheim.«
Ohne nachzudenken, nehme ich ihn fest in den Arm. Er riecht herb, nach Nelken und Gewürzen. Mein Kopf sinkt an seine Brust, und ich drücke ihn, dann lasse ich los.
Er wirkt erstaunt und etwas peinlich berührt von meinem Gefühlsausbruch, und ich frage mich, ob ich etwas falsch gemacht habe.
»Irgendwie habe ich dauernd das Gefühl, dass ich dir Sachen erzähle, die ich lieber für mich behalten sollte«, sagt er. »Aber du bist so eine tolle Zuhörerin, Carly.« Und dabei schaut er mich vielsagend an, und seine Augen sehen aus wie tiefe dunkle Teiche. »Also«, sagt er dann mit einem Blick über meine Schulter sichtlich fröhlicher und dreht mich dann um hundertachtzig Grad herum, »genug mit diesen Gefühlsduseleien. Zeit, sich ein bisschen zu amüsieren!« Mit großer Geste weist er auf das Gebäude, vor dem wir stehen, und winkt mich hinein. »Ihr Winterwunderland erwartet Sie, Ma’am«, sagt er mit einem schiefen Lächeln, während ich mich langsam umdrehe.
Wir stehen vor Somerset House, einem wunderschönen klassizistischen Gebäude aus dem achtzehnten Jahrhundert, das einen viereckigen Innenhof umschließt. Von drinnen hört man den Klang weihnachtlicher Musik, und fröhliches Gelächter dringt zu uns herüber. Wir gehen in den Innenhof, und ich schaue Joel unsicher an, als er mir seinen Arm anbietet und auf die Schlittschuhbahn zeigt, die im Schein der Lampen aussieht wie eine Schachtel von Tiffany’s, und auf der warm eingemummelte Gestalten vergnügt über das Eis sausen. Es sieht traumhaft schön und festlich aus, und vereint alles, was ich am winterlich-weihnachtlichen London so liebe. Ich würde mich freuen wie ein Schneekönig, wenn ich nur Schlittschuh laufen könnte.
»Darf ich um den ersten Tanz bitten, M’lady?«, fragt Joel mit seinem (schrecklichen) britischen Akzent. Den sollte ich ihm wirklich abgewöhnen.
»Tanzen? Auf dem Eis ?«, stammele ich ungläubig. »Soll das ein Scherz sein? Der einzige Bolero, den du von mir zu sehen bekommst, ist diese Jacke«, sage ich und weise auf mein kurzes cremefarbenes Jäckchen.
Worauf er den Kopf in den Nacken legt und schallend lacht, als hätte ich gerade den besten Witz aller Zeiten erzählt. Ich klopfe gerade der Comedy-Queen in mir anerkennend auf die Schulter, als er sich wieder fängt, die Stirn runzelt und meint: »Was ist denn ein Bolero?«
Egal, das ist bloß die Sprachbarriere. »So nennt man eine kurze Jacke«, erkläre ich geduldig, »aber es ist auch ein Tanz, und mit dem als Kür haben Torvill und Dean 1984 die olympische Goldmedaille gewonnen.«
Joel schaut mich verständnislos an. »Die berühmten britischen Eiskunstläufer?«, füge ich hinzu. Er schüttelt den Kopf.
»Du weißt schon«, führe ich beharrlich aus, entschlossen, den kulturellen Graben zwischen uns zu überbrücken, »da DAH, dada da DUM.« Ich singe das bekannte Ende des Liedes, worauf er mich wieder stirnrunzelnd anschaut und erneut laut loslacht.
»Jetzt verstehe ich!«, ruft er nickend. »Toller Witz!« Er will bloß nett sein.
Dann nimmt er meine Hand. »Komm schon, nach ein paar Tassen Glühwein sind wir sicher genauso gut wie Torvill und, wie war das noch, Dean?«, und damit zieht er mich grinsend zur Eisbahn.
»Traumhaft, oder?«, sagt Joel staunend, während er, die Hände in die Hüften gestemmt, am Rand der Eisbahn steht. Bei ihm wirkt es so selbstverständlich, wie er da auf dem Eis steht. Jede Menge Mädels, die alle aussehen, als seien sie geradewegs einer GAP-Anzeige entstiegen, in ihren kurzen Röckchen, den dicken Strumpfhosen, den bunten Strickpullis und den Wintercapes, drehen sich im Vorbeifahren nach ihm um und verlieren dabei fast das Gleichgewicht.
»Herrlich«, entgegne ich und schaue gerade lange genug von dem Handlauf auf, an den ich mich klammere, als ginge es um mein Leben, um die
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