Ein Weihnachtswunder zum Verlieben - Roman
Aufmachung, und muss an Joel denken.
Just in dem Augenblick geht Guy wieder ans Handy. Das ist ganz großes Kino.
»Tut mir leid«, sagt er leichthin. »Also, was wolltest du eben sagen? Heute Abend? Ach, tut mir leid, Paul, Schatz, aber da habe ich schon was vor.« Er legt eine genau bemessene Kunstpause ein. »Ich habe ein Date. Ein echtes Sahneschnittchen. War am Wochenende hier im Laden … wie bitte?« Sein Gesicht verfinstert sich. »Natürlich ist er unter siebzig«, gibt er schnippisch zurück. »Nur damit du es weißt, bei Hardy’s weht jetzt ein anderer Wind.« Wieder eine kurze Pause. »Tja, das kannst du ruhig glauben. Es heißt nicht umsonst, öfter mal was Neues. Hast du mir das nicht selbst gesagt? Also, tut mir leid, aber ich muss jetzt Schluss machen. Die Kunden wollen bedient werden. Bussi!« Mit einem entschiedenen Tastendruck beendet er das Gespräch, dann klatscht er in die Hände und quiekt: »Ahhh, das hat guuut getan!«
Begeistert klatsche ich Beifall, worauf er überrascht herumwirbelt und sich dann verbeugt, ganz tief, wobei er mit dem Arm eine ausladende Geste macht, den Boden streift und dann zu einem port de bras ausholt, auf das Lily stolz gewesen wäre. Pfeifend kommt er zu mir herübergeschlendert. »Wuuhuu, Süße, du siehst heiß aus! Wer ist denn der Glückliche?«
Plötzlich etwas verlegen zucke ich bloß die Achseln.
»Tja, wie dem auch sei, denk immer an den guten Rat, den ich mal bekommen habe: Du bist etwas Besonderes und verdienst es, geliebt zu werden. Du brauchst bloß Mut, Herz und Verstand, um den Richtigen zu finden.« Er hält inne und schüttelt denKopf. »Ich weiß gar nicht mehr, von wem ich das habe, aber es hat mir sehr geholfen.« Dann schnippt er plötzlich mit den Fingern. »Das muss Judy gewesen sein.« Er knallt die Absätze zusammen, bekreuzigt sich und schaut gen Himmel. Man sieht mir meine Verwirrung wohl an, denn er sieht sich zu einer Erklärung genötigt. »Garland, Herzchen. Wo lebst du denn?« Er schnippt mit den Fingern. » Der Zauberer von Oz! Verstand! Herz! Ja, es war definitiv Judy.« Dann schüttelt er betrübt den Kopf, als könne er nicht fassen, wie begriffsstutzig ich bin, dass ich nicht weiß, dass er die Grande Dame höchstpersönlich meint.
Und ich bringe es einfach nicht übers Herz, ihm zu erklären, dass ich selbst ihm diesen Rat gegeben habe, als er mir im Lagerraum wieder mal sein Herz ausgeschüttet hat.
Endlich im Warenlager angekommen, würde ich mich am liebsten auf die Couch fallen lassen. Meine roten Hochhackigen mit der entzückenden kleinen Lacklederschleife auf den Zehen bringen mich schier um, und das Letzte, wonach mir gerade ist, ist, durch die Gänge zu flitzen und die einzelnen Artikel für die verschiedenen Abteilungen aus den Regalen zu holen. Wenn man nach den Bestellzetteln geht, die der Drucker unermüdlich ausspuckt, ist heute wieder viel los im Laden. Wobei ich eigenartigerweise noch keine einzige Bestellung aus der Designerabteilung bekommen habe. Aber das ist ja auch mehr eine Nischenabteilung, überlege ich dann.
In dem Moment geht plötzlich die Tür zum Warenlager auf, und Carly kommt herein. Sie sieht niedergeschlagen aus. Ihr glatter, glänzender Pferdeschwanz hängt auf Halbmast, das enge, weiße Kleid wirft an genau den verkehrten Stellen unschöne Falten, und kaum ist sie drinnen, hat sie auch schon die Highheels von den Füßen geschleudert und kommt wütend zu mir herübergestapft.
»Ich brauche Koffein«, knurrt sie, lässt sich auf das Sofa fallen und vergräbt das Gesicht in den Händen. So kenne ich sie gar nicht.
»Sofort«, sage ich und springe zu meiner kleinen Küchenzeile, wobei ich sie unauffällig mit einem Schulterblick mustere, während ich den Wasserkocher anstelle. Carly hat sich nicht vom Fleck gerührt. Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass der Nagellack an ihren Zehen absplittert. Ich werfe einen Blick auf meine Füße. Gestern Abend habe ich mir eigens für meine Verabredung die Zehennägel lackiert. Knallrot. Lily wäre stolz auf mich. Alles sollte bis zum letzten Detail stimmen, auch wenn meine Pumps vorne gar nicht offen sind.
»Ich bin heute total durch den Wind«, murmelt Carly durch die Hände.
»Warum, was ist denn los?«, frage ich interessiert.
»Du meinst, was ist nicht los.« Sie schaut auf und lässt sich rückwärts ins Sofa sinken, als könne ihr Körper das Gewicht ihres Kopfs nicht tragen. Was angesichts dieser mageren kleinen Gestalt gar nicht so
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