Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sherko Fatah
Vom Netzwerk:
angepasst, innerlich wüssten sie sehr wohl, was sie von den anderen unterscheide. Denk dir, das hat er wirklich gesagt. Aber Enzo Sereni behauptet, das würde nun nicht mehr genügen, wir müssten endlich zu uns finden, innerlich und äußerlich.
    Verzeih die vielen Worte. Warum aber antwortest du nie, hast du dort, wo du bist, kein Schreibzeug?
    Mirjam
    Fadil hatte mich im Halbdunkel der Baracke von seiner Pritsche aus aufmerksam beobachtet, hatte meine Gesichtszüge gelesen und so wusste er sofort, worum es sich handelte.
    »Was schreibt sie?«
    Gespenstisches Licht fiel durch die Barackenfenster herein, von den Häftlingslagern her waren Schreie zu hören, die gleich wieder verstummten, so als wäre jemand aus einem Angsttraum erwacht.
    »Wen meinst du?«, erwiderte ich und faltete den Brief zusammen.
    »Das weißt du genau. Sag es mir, ich habe auch Heimweh.«
    Obwohl ich nun endgültig wusste, dass ich ihm nicht trauen konnte, regte sich mein Mitgefühl. Ich erzählte Fadil, was in dem Brief stand, er ließ sich auf die Pritsche zurückfallen und sagte:
    »Diese Juden. Sie leben in ihrer eigenen Welt. Wir sind hier, um sie auszurotten, und sie schreibt dir Briefe, als wärst du ihr Ehemann. Hast du schon mal darüber nachgedacht?«
    Was er sagte, empörte mich, doch um die schlafenden Kameraden im Saal nicht zu wecken, musste ich leise sprechen.
    »Sie hat mit dem Krieg nichts zu tun.«
    »Wenn man dich reden hört, könnte man glauben, du seist ein Idiot. Wir haben den Marschbefehl. Wie stellst du dir das vor? Du kommst zurück nach Bagdad, gehst zu ihrem Haus und berichtest ihrem Vater von deinen Abenteuern in Europa?«
    »Wer will das? Ich bin fertig mit diesen Leuten. Was kann ich dafür, wenn sie mir schreibt?«
    »Du wirst nie fertig sein mit ihnen. Du hast die Seele eines Verräters, das wusste ich immer. Damals in der Nacht, bei den Läden der Juden, bist du einfach abgehauen …«
    »Kindereien. Und außerdem sagt das der Richtige, einer, der mir bei jeder Gelegenheit in den Rücken fällt. Du bist ein Hund, Fadil, das warst du immer.«
    »Wie wäre es, wenn ich sie mir holen würde, später, nachdem wir zurückgekehrt sind? Das müsste dir doch jetzt egal sein.«
    Die ersten Schläfer wurden unruhig und warfen sich seufzend herum.
    »Es ist mir egal. Aber weil du es bist, würde ich dich töten.«

4.
    K atharina weckte mich und half mir auf die Beine.
    »Er hat oben geschlafen. Ich glaube, er fiebert«, sagte sie und schob mich vor den aus Munitionskisten und Holzlatten zusammengezimmerten Schreibtisch des Doktors.
    »Was ist los?«, fragte Stein. »Hast du Schmerzen?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Meine Haut brennt.«
    »Natürlich brennt deine Haut. Sie ist schwer verletzt.«
    Der Doktor erhob sich und gab mir dicht vor dem Sehschlitz ein Handzeichen.
    »Komm mit«, sagte er.
    Er schickte Katharina fort und führte mich in den Operationssaal, der einst die Aula einer Schule gewesen war. Jetzt fiel das Licht des grauen Morgens durch die Fensterfront auf Metalltragen, Haufen fleckiger Strohsäcke, einige wenige Infusionsständer und Ampullen. Drei Blechtische auf Rollen trugen Operationsbestecke, ansonsten war der Raum leer und Dr. Stein achtete auch hier darauf, dass es so blieb.
    Ich ließ mich auf einer Liege nieder und der Doktor brachte einen Strohsack, um meinen Kopf höher zu betten. Seine Worte gingen mir nicht aus dem Sinn. Zum ersten Mal hatte er über die Schwere meiner Verletzung gesprochen. Der Gedanke beschlich mich, noch nicht recht begriffen zu haben, was wirklich mit mir geschehen war. Ich bin entstellt, dachte ich verzweifelt, niemand wird mich je wiedererkennen.
    Der Doktor begann am Verband zu zupfen, vorsichtig löste er ihn von meinem Gesicht. Der Schmerz trieb mir die Tränen in die Augen, Stein sah es und ließ ab.
    Während er die Gerätschaften sortierte, die Tupfer tränkte und in flachen Blechschalen bereitlegte, sagte er:
    »Ich kann dir keine Betäubung geben, wir brauchen alles, was wir haben, für die schwereren Fälle.«
    Die Bemerkung erleichterte mich augenblicklich.
    »Bei mir ist es nicht so schlimm?«
    Von fern her drangen Stimmen und das Krächzen der Krähen in den Saal, dessen Leere und Stille mich trotz der Schmerzen schläfrig machte.
    »Wenn wir aufpassen, wirst du nicht daran sterben«, sagte der Doktor und begann den Verband aufzuschneiden.
    Langsam, Schicht um Schicht, zog er ihn ab, legte mein Gesicht frei und warf kritische Blicke darauf. Die kühle

Weitere Kostenlose Bücher