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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Zweifeln. Deshalb hab ich zu Heinz-Martin, als es ernst wurde mit uns, na, als wir uns wiedergesehen haben in Bulgarien und anderswo im Hotel, von Anfang an gesagt: Wenn ich das mach mit dem Konvertieren, dann nicht, weil deine Familie das unbedingt will, sondern nur, weil ich endlich lernen muß, positiv zu zweifeln. Denn das andere, na, diesen verdammten Glauben bis zum Gehtnichtmehr, der uns kaputtgemacht hat, bis unsere Republik nix mehr, nur noch ne Bewahranstalt war, den kenn ich. Diese Sorte Glauben hab ich intus. Da muß ich nix zulernen mehr. Genau! Sitzt wie das kleine und große Einmaleins, das ich den Gören beigebracht hab, jahrelang. Aber beim Zweifeln, da brauch ich Nachhilfe im Prinzip, da hapert es bei mir, immer noch … Und vielleicht bin ich deshalb so glücklich jetzt. Denn so klar, wie zu uns allen der Herr Pfarrer vorhin gesprochen hat, hab ich sowas noch tue gehört, auch nicht, als ich bei ihm noch Unterricht bekam. ›Gott existiert nur im Zweifel!‹ Leute, ich sag euch: Wenn wir hier rechtzeitig unserem Sozialismus sowas erlaubt hätten, na, ne gesunde Portion Zweifel, wär vielleicht doch was draus geworden. Was, Friedel? Du bist doch sonst scharf auf Wahrheit. Was, Vater? Hat er doch schön gesagt, unser Herr Pfarrer. Das hätten all deine Pastoren, Niemeyer, Pastor Petersen und Superintendent Schwarzkoppen, auch Pastor Lorenzen, der ja ein Sozi war angeblich, nicht besser hingekriegt und im Prinzip nicht schöner sagen können. Genau! Nicht mal Schleppegrell, der ja nicht ohne war – oder?«
    Friedel saß mit geschlossenem Visier. Aber Fonty wird die genannten Pastoren vor sich gesehen haben. Er löste sie alle, zuletzt den Dänen Schleppegrell, der immerhin die Liebe dreier Prinzessinnen abgewiesen hatte, aus Romanen und Novellen, rief weitere Gemeindehirten herbei, ließ sie als mehr oder weniger protestantische Garde aufmarschieren, nahm sozusagen Parade ab und sagte: »Ob Domprediger oder Landpastor, die waren allesamt müdegepredigt, obwohl sie, gut lutherisch, beide Testamente und die Sprüche Salomonis auf ihrer Seite hatten. Allenfalls hätte Lorenzen so offen heraus wie dein Priester … Nein, der auch nicht … Respekt und nochmals Respekt! Kam alles furchtbar richtig raus und freiweg, wie ich es gern habe. Muß sagen – wenn der Vergleich erlaubt ist –, daß mich Hochwürden, dem Gott sei Dank alles Hochwürdige abgeht, kolossal an jenes verlorene Häuflein illegaler Nonnen erinnert, die den toten Liebsten meiner Grete Minde ordentlich unter die Erde gebracht haben, während der Prediger Roggenstroh hartherzig, wie nur ein Christenmensch hartherzig sein kann, der Leiche den Segen verweigert hat … Na, trinken wir auf Metes tränenreiches Glück und einen übrigen Schluck auf den Zweifel. Der möge bis zum Schluß unsere Schildwacht sein. Zweifel ist immer richtig!« Er hob das Glas, prostete seiner Tochter, dann dem ungeschlachten Priester zu, trank bis zur Neige und rief: »Herr Wirt! Nun soll aber schleunigst das Dessert auf den Tisch und die beim Glaubensstreit erhitzten Gemüter ein wenig abkühlen, sonst mißrät uns die Hochzeit zum Schlachtfest, bei dem am Ende doch noch ›Ritter Blaubart‹ auftischt.«
    Die Eisvariationen namens »Pariser Leben« taten, was Fonty von ihnen erwartet hatte. Der Blutdruck sank. Harte Worte oder gar Abrechnungen wurden verschluckt oder auf später verschoben. Die Tischgespräche fanden andere, weniger abschüssige Bahnen. Sogar Schwager und Bräutigam kühlten sich ab. Endlich kam Grundmann dazu, sein bauwirtschaftliches Fachwissen auszubreiten. Auf »solidem Fundament« wollte er in Schwerin eine Filiale, wie er sagte, »zum Stützpunkt« ausbauen. »Der mecklenburgische Grundstücksmarkt ist total unterentwickelt. Verstehe ja, daß man nach dem großen Kladderadatsch nicht weiß, wie es weitergehen soll, aber da werden wir helfen, da müssen wir helfen. Liegt ja völlig brach alles seit dem Ende der Kommandowirtschaft. Doch ist es uns immerhin gelungen, mit Hilfe einiger ortskundiger Kräfte ersten Durchblick zu gewinnen. Bin allerdings der Meinung, daß bei der vordringlichen Lösung der Eigentumsfrage unkonventionell gehandelt werden muß, sonst läuft gar nichts. Funkstille bei Investoren. Stagnation. Der alte Schlendrian …« Dem konnte Friedel Wuttke nur zustimmen: »Du ahnst nicht, lieber Schwager, in welchen Schwierigkeiten wir stecken. Mein Verlag, dessen Stammhaus früher in Magdeburg seinen Sitz hatte, kann sich zwar

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