Ein weites Feld
riefen gleichzeitig: »Das reicht, Hochwürden! Wir haben verstanden!« Und: »Das ist jesuitische Spiegelfechterei!« So viel Widerspruch warf den bekennenden Priester dennoch nicht um. Er blieb stehen und klammerte weiterhin bedrohlich die Tischplatte, war Fels in der Brandung. Inge Scherwinski, die von Herzen ganz unbeschadet katholisch war und deshalb, auf Wunsch der Braut, am rechten Kopfende der Hochzeitstafel saß, bekreuzigte sich immer wieder und rief: »Wo bin ich denn hier? Ehrlich, Martha, Frau Wuttke, wo sind wir denn hier?« Hingegen war Bettina von Bunsen sicher, »nichts als Geschmacklosigkeiten« und einen »verkappten Kommunisten« gehört zu haben. Grundmanns Tochter lachte bis ins Schrille hinein, wußte aber genau, was sie von den Aufgeregtheiten am Hochzeitstisch zu halten hatte: »Komisch, irrsinnig komisch find ich das.« Mir fiel nur »starker Tobak« ein. Und die Braut flüsterte: »Was ich geahnt habe. Nix läßt er aus. Für den zählt nur, was Fakt ist. O Gott, er hat es nicht leicht mit sich.« Als HeinzMartin Grundmann und Friedel Wuttke den immer noch standhaften Priester vergeblich aufforderten: »Nun setzen Sie sich endlich, Hochwürden!« -»Wir haben genug Peinlichkeiten gehört!« –, sagte Emmi Wuttke, weil Bruno Matull wie zu weiterer Rede bereit stand und seinen Doppelgriff nicht lockern wollte, zu ihrem Mann: »Nu sag doch was, Wuttke, nu sag endlich was.« Doch Fonty versteifte sich auf Schweigen, sooft seine Frau ihn anstieß. Der Priester mußte durch den Bräutigam und dessen Schwager genötigt, nein, handgreiflich gezwungen werden, sich zu setzen; sie lösten seine Hände nicht etwa behutsam, sondern Finger nach Finger von der Tischplatte, daß es knackte: zwei Männer mit Halbglatze, bemüht um einen dritten Mann, dessen Haar, wie meines, gleichfalls von schütterem Wuchs war. Nun saß der Priester, und Martha Grundmann, geborene Wuttke, begann zu weinen.
Wir hörten kein Schluchzen. Ein eher stiller Tränenfluß trat über die Ufer. Da die Braut, ihrem Vorleben entsprechend – zwei Verlöbnisse waren in die Brüche gegangen, das erste mit ihrem Schuldirektor, das letzte mit Zwoidrak, dem Oberleutnant der Volksarmee –, nur barhäuptig und in mausgrauem Kostüm, nicht etwa in Weiß und mit Schleier vor den Altar getreten war, hätte man die Tränen zählen können; und die Hochzeitsgesellschaft verstummte auch angesichts des so deutlich abtropfenden Überflusses, der wie ein Naturereignis bestaunt wurde. Grundmann, nun ganz besorgter Bräutigam, schob ihr sein Taschentuch zu. Aber sie wollte nichts trocknen, wollte fließen, nur fließen lassen. Also siegte das Bild der weinenden Braut, das wir stumm ansahen; und ich erlebte mich sogar ein wenig ergriffen. Was aber dem Schweigen der Hochzeitsgesellschaft Dauer verlieh, war Marthas Fähigkeit, unter Tränen zu lächeln. Eigentlich war ihre feuchte und an den Rändern verschwimmende Fröhlichkeit schön anzusehen. Glanz ging von ihr aus. Die Braut strahlte. Sie, die nur selten der Welt ein freundliches Gesicht geboten hatte und eher von alltäglich mürrischem Ernst geschlagen war, lächelte allen, die am Tisch saßen, ungeübt zu und bot uns ihr längst vergangenes Jungmädchenlächeln an: zuerst tränenreich ihrem angetrauten Heinz-Martin, dann Vater und Mutter, den Trauzeugen, dem Bruder, der Jugendfreundin, der vorhin noch amüsierten, nun verstörten Studentin, schließlich dem standhaften Priester, der sichtlich vertrotzt und nur gezwungenermaßen saß; wobei Bruno Matull, im Kontrast zur sich schönweinenden Braut, jenem Augustinermönch nicht unähnlich war, der einst vor versammeltem Reichstag sein »Ich kann nicht anders« zur Redensart gemacht hatte. Da sprach die Braut. Sitzend sagte sie: »Hört zu, Leute, du auch, Friedel. Und macht euch bloß keine Sorgen. Ich heul ja vor Glück. Das, kein frommes Gesums, genau das wollt ich hören. Ach, wie bin ich froh, daß nur sowas rauskam und keine Sprüche. Ich danke Ihnen, Pfarrer Matull. War mir schon vorher ziemlich klar im Prinzip, daß das nicht einfach glatt ablaufen kann, raus aus der Partei und rein in die Kirche. Dafür bin ich zu lange felsenfest überzeugt gewesen. Heinz-Martin weiß das, na, daß ich geglaubt hab, daß unsere Republik die bessere ist. Sogar an unsere revolutionären Ziele hab ich ziemlich lange … Ideologische Plattform, Disziplin … Parteilichkeit, war klar, daß die sein mußte. Kannst mir glauben, Friedel, da gab’s kein
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