Ein weites Feld
dort auf Eigentumsrechte berufen, aber die will man nicht akzeptieren. Noch verhandeln wir ziemlich geduldig, doch irgendwann muß das Theater mit dem sogenannten Volkseigentum aufhören. Auf jeden Fall müßten wir mit der Ausdünnung im Personalbereich jetzt schon beginnen, ganz einfach, um konkurrenzfähig zu bleiben, der Markt für theologische Schriften ist eng. Deshalb wollen wir unsere Reihe ›Mission heute‹ in Richtung Osteuropa öffnen und bei den verdienstvollen Tätigkeiten der Herrnhuter anknüpfen …« Nun wollte auch Frau von Bunsen der Eigentumsfrage nachgehen. Sie erwähnte »völlig heruntergewirtschaftete Liegenschaften« der Familie ihres Mannes im östlichen Teil der Altmark, sprach von »seit Generationen rechtmäßigem Besitz« in der Gegend von Rathenow, den man auf keinen Fall den »Kolchosen und sonstigen Seilschaften« überlassen dürfe. »Das bin ich meinem verstorbenen Mann schuldig!« Dann wollte sie auf den Altbesitz der Familie von Wangenheim kommen, wurde aber durch eine Frage, die unvermittelt Fonty stellte, von rund tausendzweihundert Hektar enteignetem Junkerland abgelenkt. Der Brautvater wollte wissen, ob ihr verstorbener Mann mit Karl Josias von Bunsen, jenem preußischen Botschaftsrat, verwandt sei, der während der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, »vor Graf Berristorff«, in London tätig gewesen wäre: »Wurde erst siebenundfünfzig geadelt. Galt als Liberaler und war ein erklärter Manteuffel-Fresser.« Außerdem war Fonty an der Familie von Wangenheim interessiert: »Gaben sich zugespitzt altgläubig. Waren ausgesprochen antipreußisch. Die alte Frau von Wangenheim ging so weit, mir mit dem allerkatholischsten Gesicht zu versichern: ›PreußenDeutschland birgt keine Verheißung …‹« Frau von Bunsen verneinte, was ihren Mann betraf, direkte Verwandtschaft mit irgendwelchen Liberalen und wollte keinesfalls mit Fonty über die Verästelungen des preußischen Adels plaudern, sondern wie Grundmann und Friedel Wuttke bei »berechtigten Eigentumsforderungen« bleiben; doch nun verhielt sich Inge Scherwinski, die bis dahin dem Priester ihre Nöte mit ihren »drei Jungs« ausgebreitet hatte – »Ehrlich, die schaffen einen!« –, ganz und gar unpassend, indem sie die verschieden lokalisierten Kämpfe um Besitztitel durch eine Frage an die Braut beendete: »Weißte noch, Marthchen, wir zwei beide auf Ernteeinsatz? All die riesengroßen LPGs! War doch manchmal ganz schön -oder? Wir als Junge Pioniere mittem Halstuch … Und später mit Blauhemd … Du hast manchmal auffem Klavier … Und als wir zwei beide in einer Singgruppe … Ehrlich, das fehlt mir manchmal …« Und schon sang Marthas Jugendfreundin mit feinem Stimmchen: »Du hast Ja ein Ziel vor Augen …«, und die Braut sang mit: »Damit du in der Welt dich nicht irrst …«
Beide sangen nun kräftiger, wie von Erinnerungen fortgespült. Wer hätte Martha diesen dunklen und zugleich warmen Ton zugetraut? Gleich anschließend sangen sie das Solidaritätslied »Vorwärts, und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht …« und hätten wohl gerne alle Strophen gesungen, wenn Friedel Wuttke nicht mit lautem Einwurf »Aufhören!« dagegen gewesen wäre. Doch weder seine Schwester noch ihre Freundin wollten auf Befehl schweigen. Sie stimmten ein Lied an, das zu Herzen ging, weshalb ich versucht war, mitzusingen: »Spaniens Himmel breitet seine Sterne«, und ich summte wohl auch leise: »Die Heimat ist weit, doch wir sind bereit«, als sich Martha und Inge so wohlklingend entschlossen zeigten, für die Freiheit zu kämpfen und zu siegen. Jadoch, verdammt, ich sang mit. Auch mir war jede Strophe eingehämmert. Ich hörte mich singen und erstaunte darüber, daß mein Gedächtnis all das gespeichert hatte, was uns von Jugend an gläubig hat werden lassen. Als aber die beiden Freundinnen wie zwei in die Jahre gekommene FDJlerinnen nun auch noch »Bau auf, bau auf! Bau auf, bau auf!« zu singen begannen, dabei einander fest anblickten und mit wiederholtem Appell die »Freie Deutsche Jugend« zum Aufbau des mittlerweile auf Abbruch stehenden Arbeiter- und Bauern-Staates aufriefen, war von der abkühlenden Wirkung der Eisvariationen namens »Pariser Leben« nichts mehr zu spüren. Friedel Wuttke erlebte sich jenseits aller pietistischen Geduld. Kein Herrnhuter, ein Wüterich sprang auf und schlug auf den Tisch, daß es klirrte. Er rief nicht, er brüllte: »Schluß! Das ist vorbei! ›Für eine bessere Zukunft‹,
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