Ein weites Feld
da kann ich nur lachen. Nichts, absolut nichts will ich davon je wieder hören. Diese Verbrecher. Versaut haben sie euch. Endgültig vorbei ist das, hört ihr!«
Aber der Gesang der Freundinnen war nicht abzustellen. »Weiß gar nicht, was du willst«, rief Martha zwischen Strophe und Strophe. »Du bist doch früher mal, hab ich gehört, ein ziemlich rabiater Achtundsechziger gewesen … Na. mit Mao-Bibel und so … Hast sogar, bevor du auf fromm gemacht hast, Che-Guevara-Poster verhökert … Was habt ihr denn damals gesungen?«
Dann ging es weiter im aufbaufreudigen Liedtext. Friedels Ausbruch verpuffte. Martina Grundmann fand so viel lautstarken Zorn ohnehin übertrieben: »Ist doch lustig!« Und schon versuchte sie mitzusingen: »Bau auf, bau auf …« Als Frau von Bunsen als Ziehmutter und Grundmann als Vater die Studentin ermahnten: »Laß das bitte, Martina« -»Nun hat der Spaß aber ein Ende«, bat Emmi Wuttke beide und besonders ihren Schwiegersohn um Nachsicht: »So war das bei uns all die Jahre. Fast jeder hat mitgesungen, auch unser Friedel und seine Brüder beide, als Martha noch klein war und bevor sie alle drei drüben geblieben sind. War ja gut gemeint, damals, das mit dem ewigen ›Bau auf‹, auch wenn es trotzdem nich richtig voranging. Aber die Jungs sangen das und dachten so, jedenfalls anfangs noch. Und du, Friedel, warst ein ganz Scharfer, bevor du … Immer so fanatisch … Richtig aufpassen mußt man bei jedem Wort … Aber das is ja nu alles vorbei, seitdem wir die Einheit kriegen sollen, damit es besser, immer besser wird. Soll ja auch, soll ja! Aber sich erinnern, wie es gewesen is früher, als wir noch unter uns waren, das darf man … Was, Wuttke?« Kein Gesang mehr. Um den Tisch saßen wir fremd. Friedel suchte die Zimmerdecke weiß nicht wonach ab, vielleicht nach seinen achtundsechziger Thesenanschlägen. Zwischen Braut und Bräutigam war ein Loch. Inge Scherwinski sah plötzlich nicht mehr munter aufgekratzt, nur noch abgearbeitet aus. Ich wünschte mich ins Archiv, die Studentin vielleicht nach Amsterdam und Frau von Bunsen in die Toskana, von der sie bei Tisch geschwärmt hatte. Nur Pfarrer Matull hatte ein passendes Wort übrig: »Wir kennen uns nicht. Wir erkennen einander nicht.« Und Fonty? Er saß in korrekter Haltung, aber wie abwesend. Nur einmal, als noch Streit die Hochzeitsgesellschaft belebte, hörte man ihn sagen: »Schade, daß der Professor nicht dabei ist. Freundlich würde das alles kolossal apart finden. Hätte zweifelsohne Anekdoten auf Lager. Zum Beispiel, was die Emigranten gesungen haben, in Mexiko damals …« Dann schwieg er wieder, doch war zu vermuten, daß sich Fonty zu längerer Rede sammelte. Emmi sah das mit Unruhe. Aber bevor er seine allzeit rückläufigen Gedanken ausbreiten, die Zeit der Sozialistengesetze beklagen, aus Bebels Reichstagsreden zitieren, das preußische Spitzelwesen verdammen und die Hoffnung des Unsterblichen auf die Arbeiterklasse – »Alle Zukunft liegt beim vierten Stand« – beschwören konnte, trat die Erinnerung in Person auf; und sogleich sahen wir uns in anderem Licht.
Als gerade der Kaffee serviert wurde, stand unberufen Hoftaller im Musikzimmer der Offenbach-Stuben. Nein, in der Tür stand er und lächelte. Zum taubengrauen Anzug mußte eine sehr gelbe Krawatte passen. Er brachte keine Blumen, hielt aber ein mit rotem Seidenband zum Geschenk gebundenes Päckchen, dessen kunstvoll geknüpfte Schleife auf Konfekt schließen ließ. Warum er uneingeladen dennoch gekommen sei, begründete er nur Fonty gegenüber: »Ich gehöre nun mal dazu.« Also wurde auch ihm Kaffee serviert. Cognac und Liköre gab es, sogar Pralinen. Ein wenig erschöpft von den drei Gängen und dem zu vielen Gerede bei Tisch, nahm man den Fremden mit nur halbem Interesse auf; einzig Friedel sagte zu seinem Vater: »Ließ sich denn diese Peinlichkeit nicht verhindern? Kenne den Typ. Der hat sich ein paarmal bei Teddy und mir blicken lassen, Ende der siebziger Jahre schon. Und von Georg weiß ich … Verstehe dich nicht, Vater, daß du dieses Gesocks …« Fonty sagte: »Mit seinesgleichen haben wir leben müssen«, mehr nicht. Hoftaller wechselte zwanglos von Gast zu Gast und stellte sich mit aufgesetztem Lächeln als Freund der Familie vor. Als er sein Päckchen zu den anderen Geschenken und Blumenbuketts auf einen Nebentisch legte, sagte er mit leichter Verbeugung der Braut gegenüber: »Möchte auf keinen Fall versäumen, nen Glückwunsch
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