Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
Vom Netzwerk:
Algerier in Paris, generell über Einwanderer, legale und illegale. So kamen sie auf die Hugenotten, auf jene, die nach Brandenburg-Preußen ausgewandert waren, auf jene, die sich noch lange in den Cevennen verstecken mußten. Und schon war abermals Fontys »Einundalles«, »Monsieur X«, der auf doppelt hugenottische Abstammung zurückweisende Unsterbliche, im Boot und erzählte von der Gascogne und seinem schwadronierenden Vater – »Ein Causeur alter Schule« –, der alle Marschälle Napoleons beim Namen zu nennen wußte. »Meine Mutter hingegen war ein Kind der südlichen Cevennen, eine schlanke, zierliche Frau von schwarzem Haar, mit Augen wie Kohlen, energisch …« Madeleine hatte dieses Zitat parat, doch als sich das Geplauder verfänglich den Flüssen Saône und Rhône, dann der seenreichen Region la Dombes näherte und Gefahr bestand, daß allzu schlüssig von einer Bootspartie zur anderen Ruderpartie hätte gewechselt werden können, weil Fonty schon wieder alle Zusammenhänge kurzzufassen begann, sagte Emmi: »Is ja gut, Wuttke. Marlen und ich wissen nun, was alles beim Rudern und so passieren kann.« Wie gerufen, kam anderes ins Bild. Als auf dem nahen Uferweg ein stattlicher Herr mit großem Hund an der Leine vorbeischritt, sagte Madeleine: »Schauen Sie nur, grand-père, ein Neufundländer. In einer Seminararbeit habe ich die Rolle besonders dieser Hunde in den Romanen unseres Autors behandelt. Zum Beispiel ging es um Hektor auf Schloß Hohen-Vietz in ›Vor dem Sturm‹. Und um Boncccur in ›Cécile‹. Und natürlich um Rollo und la pauvre Effi bis zum Schluß, wenn Frau von Briest sagt: ›Rollo liegt wieder vor dem Stein. Es ist ihm doch noch tiefer gegangen als uns …‹ Und über Sultan, den Kettenhund. der allerdings kein Neufundländer war, hab ich ausführlich geschrieben: wie er Botho und Lene, wenn sie spazierengingen, immer nachgeschaut hat, als wüßte er über das Leben Bescheid …«
»Son Hund kapiert mehr, als man weiß«, sagte Emmi. »Anfang zweiundsechzig, gleich nachem Mauerbau, als unsre Jungs alle im Westen geblieben sind und wir mit Martha allein waren, haben wir uns och einen angeschafft. War ein Dackel. Son richtiger Stadthund. Aber ein schlaues Kerlchen. Mein Wuttke hat ihn, weiß nich, warum, immer ›Hesekiel‹ gerufen. Und zwar nich, wie der Berliner sagt, sondern ›He-se-ki-el‹, wie’s inner Bibel steht. Aber auf ›Fiffi‹ hat er besser gehört. Und wenn er nich grad auf Kulturbundreise war, hat er ihn spät abends noch runtergenommen. Wir wohnen nämlich drei Treppen hoch. Gassegehn, sagt man bei uns dazu. Paarmal um den Kollwitzplatz rum, bis er nich mehr gewollt und dreimal gebellt hat. Martha war überhaupt nich für Hunde. Aber die Jungs hätten bestimmt … Besonders unser Georg – Schorsch haben sie den gerufen überall … Haben Fiffi dann einschläfern lassen, sechsundsiebzig war das … Schlimme Zeit, wenn man zurückdenkt … Überhaupt, was wir durchgemacht haben alles …«
Fonty gab dann noch einiges über den Kreuzzeitungsmann zum besten, auf dessen biblisch betonten Namen der Dackel nicht hören wollte: Anekdoten am laufenden Band. Alle lachten über den gar nicht so üblen Erzreaktionär aus Tunnelzeiten, sogar Emmi. Und so geeinigt und immerfort plaudernd legten sie schließlich am Steg für den Bootsverleih an. Auch das gelang der Enkeltochter mühelos und wie mit angeborenem Geschick.
    Wir hätten hier gerne der familiären Ruderpartie ein Ende gesetzt, doch auf dem Steg stand jemand, der nicht zu vermeiden war. Uns war er beizeiten aufgefallen, obgleich ihm Unauffälligkeit als Tugend galt. Er stand wie bestellt und freute sich über das Bild, das die drei im anlandenden Kahn boten. Seine nicht zu erschöpfende Geduld. Daß er immer rechtzeitig da war, gehörte gleichfalls zu seinen Tugenden.
    Er stand mit Zigarre im Gesicht und zog zur Begrüßung seine amerikanische Baseballkappe. Ach, wäre doch Professor Freundlich am Steg gewesen; der aber mußte sich in Jena evaluieren lassen. Während Fonty für zwei volle Stunden Bootsfahrt zahlte und das Pfand, seinen auf Theo Wuttke ausgestellten Personalausweis, wieder in Händen hielt, sagte Hoftaller: »Wir haben ne Menge Zeit. Können noch paar warme Sachen holen. Wird womöglich kühl werden vorm Reichstag. Da strömen die Massen schon. Aber wir finden bestimmt ein Plätzchen. Wird ne große Schau abgezogen. Darf ich bitten, mein Trabi wartet am Landwehrkanal.«

23 Freude! Freude!
    Bevor

Weitere Kostenlose Bücher