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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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oder mit noch viel weniger Grund. Und jetzt sind es Polen und Vietnamesen, die man, je nach Belieben, zu Tode prügelt.
Kenne doch meine Deetzer; in Deutschland ändert sich nichts …«
Diese und mehr Worte hörte sich der Fluß Oder an, der nach trockenem Sommer und bei immer noch niedrigem Pegelstand keine Eile hatte. Hoftaller versuchte, mit flachem Wurf einige platte Ufersteine auf dem Wasser springen zu lassen.
Aufgefordert, gleichfalls zu werfen, war Fonty geschickter. Später gestand er uns:
»Habe kindliche Freude empfunden, als mir mit hüpfendem Stein ein Dreisprung gelungen ist.«
Uns verwunderte nicht, daß sie das naheliegende Kleistmuseum gemieden haben, hatte doch schon der Unsterbliche diesen anderen Preußen, bei allem Respekt vor bleibender Größe und so sehr ihm der »kolossale Haßgesang, ›Die Hermannsschlacht‹«, imponierte, als zu exzentrisch empfunden. Er sagte:
»Geburtsstädte, ob Neuruppin oder dieses Nest, wirken in der Regel elend zurückgeblieben.« Und Hoftaller sagte im Vorbeigehen: »Dieser Kleist wäre ein Fall für uns gewesen. War aber schwer zu observieren, weil zu unruhig und sprunghaft …« Statt dessen besuchten sie das Stadtarchiv. Dort standen sie lange vor einem naiv gemalten Bild, das die zur Franzosenzeit brennende Holzbrücke und den Feuerschein auf dem Fluß zum Motiv hatte. Angesichts der gemalten Feuersbrunst konnte Fonty nicht widerstehen, von Bränden in diversen Romanen und Balladen zu sprechen und zugleich an einen diesbezüglichen Vortrag zu erinnern, den er während der sechziger Jahre in Frankfurt an der Oder gehalten hatte. »War kurz vor dem elften Plenum …« Dabei geriet er in Hitze, kam vom brennenden Tangermünde auf den Schloßbrand in »Unwiederbringlich«, vergaß nicht das niedergebrannte Neuruppin und den Scheunenbrand der »Kinderjahre«, war nun beim vergeblichen Versuch, das Großfeuer auf dem Gutshof des Herrn von Vitzewitz zu löschen, und hatte alsdann die brennende Brücke aus »Vor dem Sturm« in längerem Zitat bereit: »… ein Ausruf allgemeinen Erstaunens wurde laut. An der anderen Seite des Flusses standen der Holzhof und das Bohlenlager in Flammen, während nach rechts hin die Brücke brannte. Das Feuer drüben stieg hoch und hell in den Nachthimmel hinein, über der Brücke aber, die, des nassen Holzes halber, mehr schwelte als brannte, lagen Rauch und Qualm in dichten Wolken, aus denen nur dann und wann eine dunkle Glut auflohte …« Ein wenig bekümmert stand Fonty vor dem Bild: »Wie es hier gemalt ist, war es nicht. In Wirklichkeit geht es immer banaler zu. Ging ja überhaupt daneben, die Sache mit dem Volkssturm. Der Franzose hielt dagegen. Die Voltigeurs hatten in knapp einer Viertelstunde die Pontonbrücke fertig. En avant! Außerdem blies der Protzhagener Hornist, wie geschrieben steht, ›in der Angst seines Herzens, statt des Angriffs- das Rückzugssignal‹. Da war bald kein Halten mehr.«
Beim kleinen Grenzverkehr mußten sie nur die Personalausweise vorzeigen. Es kann gut sein, daß Fonty den Besuch der Glienicker Brücke und den abschließenden Spaziergang über die Oderbrücke bis hin zum polnischen Ufer in einem gereimten Vierzeiler festgehalten hat; Reime gingen ihm leicht von der Hand. Wie schon beim Rudern, waren ihm am Einheitstag vier Zeilen eingefallen. Doch hat ihn nicht das historische Ereignis poetisch werden lassen, vielmehr waren es die beiden Kastanien aus seiner Manteltasche, die er der Enkeltochter zum Abschied geschenkt hatte. In einem Brief an Madeleine Aubron, der ausführlich vom Besuch der beiden Brücken Bericht gab und mit Zitaten auf Potsdam und Frankfurt zielte, sind zwar keine Brückenreime aufgehoben, doch hat er der zartbittren Person nachträglich einen herbstlichen Vierzeiler gewidmet: Für Dich, mein Kind, zwei Handschmeichler nur. Kastanienbraun färbt des Oktobers Tinktur.
Feucht und bemehlt aus der Schale gesprungen, sind sie als Schweinefutter und sonst gelungen.
Und weil ihm in seiner Brieflaune noch dieses und jenes »übrigens« einfiel, hat Fonty sich dazu verstiegen, Madeleine zu bitten, eine der Kastanien – »selbst wenn sie schrumplig ist mittlerweile« -ihrer Mutter in Montpellier, seiner immer noch grollenden Tochter Cécile, zu schenken: »… mit der Hoffnung auf ein verzeihendes Lächeln.«

25 Am Abgrund
    Warum diese Umwege? Weshalb nur Ortschaften zweiter Wahl? Welchen Grund gab es, den eigentlichen und obendrein nahe gelegenen Ort auszusparen? Wir vermuteten

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