Ein weites Feld
richtig: Gerne hätte Fonty in Hoftallers Pläne einen halbtägigen Ausflug nach Neuruppin gedrängt: geradewegs zum ganzfigürlichen Denkmal des Unsterblichen. Schon während der Rückfahrt von Kleists Geburtsort, der Grenzstadt an der Oder, schlug er, gleich hinter der Ausfahrt nach Müllrose, als Ziel für die nächste Tour mit dem Trabi die seenreiche Ruppiner Gegend und jenes Städtchen vor, das in Theo Wuttkes Personalausweis als Ort der Geburt angegeben war: »Das wär doch was. Wir zwei vor die sitzende Bronze gestellt.« Hoftaller vertröstete – »Später vielleicht, nein, bestimmt« -und begründete den Aufschub mit Hinweisen auf den vier-bis siebenstöckigen Gebäudekomplex an der Ecke Leipziger-, Otto-Grotewohl-Straße: Dort mache die Renovierung Fortschritte. Man müsse sich sehen lassen und kümmern. Die Losung heiße Präsenz zeigen, damit nichts schiefgehe: »Die bauen womöglich ruckzuck den Paternoster aus.« Und richtig: es gab Überlegungen, sogar Kostenvoranschläge westdeutscher Firmen, die, anstelle der angeblich unfallträchtigen Personenbeförderung in offenen Kabinen, Schnellaufzüge in Vorschlag brachten, wie es hieß: »Im Zuge dringlich erforderlicher Modernisierung.« Prospekte wiesen statistisch nach, daß hoher Personalbestand nach adäquatem Transport verlange. Außerdem wurde behauptet: »Die an und für sich liebenswürdige Gemütlichkeit des Paternosters wird auf die Arbeitsmoral abfärben und zur Bummelei, zum alten Trott führen; mangelnde Effizienz ist statistisch beweisbar.« Doch Fonty, der schon vor Hoftaller Gefahr gerochen hatte, war bereits fleißig. In einem Gutachten wies er auf die systemüberlebende, also des Denkmalschutzes würdige Dauerhaftigkeit des Personenaufzugs hin. Er hob den Nutzen kurzer Besinnung bei nicht zu schnellem Transport hervor, nannte sie eine »mobile Denkpause«. Er lobte das kollegiale Zwiegespräch in den Zweierkabinen. Die lächerlich geringe Zahl von Unfällen bei der Benutzung von Paternosteraufzügen faßte er in den Merksatz: »Besser langsam ans Ziel als beschleunigt ins jenseits befördert.« Er spielte mit dem Namen des altmodischen Personenaufzugs, indem er sich und allen Benutzern die Frage stellte: »Wer will oder kann in Zeiten wie diesen auf ein tägliches Vaterunser verzichten?« Zwar unterschlug er Hinweise auf führende Parteigenossen dieser und jener ideologischen Einfärbung, die vormals und noch bis kürzlich ihren Auf- und Abstieg so sinnfällig erlebt hatten, doch beschwor er den »zeitgesättigten Geruch« der holzgetäfelten Kabinen und nannte ihn, seiner angereicherten Güte halber, »bewahrenswert«; dabei rochen die auf- und niederfahrenden Kisten muffig bis ranzig nach Bohnerwachs. Fonty schrieb ein forderndes Bittgesuch, und Hoftaller sorgte dafür, daß die appellhafte Eingabe in Umlauf kam. Mit Hilfe von Unterschriften einzelner Personen und Personengruppen erhielt das Papier zusätzliches Gewicht. Als sich sogar der Chef der nunmehr in allen Stockwerken raumgreifenden Behörde zugunsten des Paternosters aussprach und für Werbezwecke ein Photo freigab, das ihn, den stattlichen und mit steiler Karriere für Erfolg bürgenden Mann, als Benutzer des Kabinenaufzugs bestätigte – man sah ihn von Fuß bis Scheitel robust neben eine zierliche Sekretärin gestellt –, war die gebetsmühlenartige Anlage vor barbarischem Zugriff gerettet, jedenfalls bis auf weiteres.
Allseits wurde Fonty Erfolg zugesprochen. Auf den Korridoren, im Aufundabzug, selbst beim Besuch der Toilettenräume hieß es: »Das haben Sie prima hingekriegt.« -»Nur nicht lockerlassen!« – »Unser Paternoster ist schließlich ein Stück unserer Identität.« – »Klar, die lassen wir uns nicht nehmen.« -»Is ne Wucht, Fonty!« -»Weiter so, Fonty!« -»Wie wär’s mit nem Küßchen als Dankeschön für Ihre Initiative?« Das alles geschah über Baulärm hinweg. Der Erfolg der rettenden Aktion hallte bis in den beginnenden November hinein. Bei einem Gespräch zwischen Erdgeschoß und oberstem Stockwerk war Hoftaller sicher, daß die erfolgreiche Eingabe sogar seine Position gefestigt habe. Er zählte ab jetzt zur nicht ganz unwichtigen Personalabteilung, wenngleich nur in mittlerer Funktion. Das sei Fonty zu verdanken. Dessen abschließende Formulierung »Möge uns fortan der Paternoster unter der Obhut der Treuhand dienstbar bleiben!« habe den rechten Ton getroffen. Sowas höre man gern. Soviel Vertrauen und vertrauensvolle Suche nach Schutz
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