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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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worauf sein Pfleger sich folgsam in den Mund gegriffen und seinen Zahnersatz vorgezeigt haben soll: in vollzähliger Reihe die oberen, die unteren Zähne. Man stelle sich zwei alte Männer, man stelle sich den Tagundnachtschatten mit ausgeräumtem Mund vor. Auf Befragen sagte uns Emmi Wuttke: »Na, das hat er geträumt nur, daß die Gebisse von den beiden vertauscht waren. Haben sogar gepaßt im Traum. Son Quatsch! Aber im Traum passiert ja viel. Natürlich wollt mein Wuttke seine Klappermänner wieder zurückhaben. Und geschrien hat er. War kaum zu verstehn: ›Was heißt hier Freundschaft! Auf solche Beweise pfeif ich! Meine Zähne gehören nur mir, auch wenn sie falsch sind. Los, her damit!‹ Na, wir haben ihn wieder beruhigen gekonnt. Und ich hab so getan, als würd ich die Dinger, dem seine und die von meinem Wuttke, wieder austauschen. Und gesagt hab ich: ›Is ja gut, Wuttke. Nu haste deine Beißer zurück. Hat alles seine Richtigkeit.‹ Er war dann auch zufrieden und ist gleich eingeschlafen, was ja gut war, weil wir es eilig hatten und packen mußten …«
    Nachdem Martha ihre Sachen, das Allernotwendigste nur, in eine Reisetasche gestopft hatte, half sie ihrer Mutter. Einigen Aufschub brachte die Suche nach Kleiderstücken, passend zum Trauerfall. Sie war sommerlich hell aus Schwerin gekommen, sogar in bunt gepunkteter Bluse. Mutter und Tochter wühlten in den Schränken. Emmi jammerte: »An sowas hat natürlich keiner gedacht, als wir – is mal grad ein Jahr her – im KaDeWe für die Hochzeit eingekauft haben. Und als unser Georg starb – das is nu schon über zehn Jahre her –, durften wir ja nich rüber …« Und die Witwe schrie: »Nix paßt! Alles zu bunt! Gleich dreh ich durch …« Schließlich fanden sie doch noch halbwegs brauchbare Garderobe aus Zeiten des Arbeiter-und Bauern-Staates: ein asphaltgraues Kostüm für Martha, ein schwarzblaues Komplet für Emmi. Hoftaller wagte vorzuschlagen, gleich nach der Ankunft in Schwerin für eventuell notwendige Neuanschaffungen keine Unkosten zu scheuen: »Sie werden bei den Trauerfeierlichkeiten gewiß im Mittelpunkt stehen, liebe Frau Grundmann. Nicht nur beim Beileid. Schließlich hat Ihr Mann ein beachtliches. Ja, was den Aufbau Ost betrifft, vorbildliches Unternehmen geführt.«
    Martha, die ganz ungeniert im Unterrock stand und den Pfleger ihres Vaters wie ein Neutrum ansah, sagte: »Genau. Löffelholz, nein, die ganze Familie von drüben wird denken: Die Witwe, die finden wir einfach ab, Grundstück am Müritzsee und bißchen was aufs Konto. Aber das läuft nicht. Mit mir schon gar nicht.«
    Emmi, die inzwischen passende Schuhe gefunden hatte, stimmte zu: »Arm sind wir nun lange genug gewesen. Ging ja trotzdem meistens. Und mein Wuttke hat immer gesagt: Arm, aber ehrlich. Is ja richtig, aber was uns zusteht, das steht uns zu.«
    Wir hätten, wenn Fonty bei Stimme gewesen wäre, durch ihn den Unsterblichen sprechen lassen, kurzgefaßt, wie bei solchem Anlaß üblich: »Moral ist gut, Erbschaft ist besser!« Leider hatte das Archiv nicht mitzureden, wenngleich wir uns bei allem, was die Wuttkes betraf, als stille Teilhaber verstanden.
    Nun sahen sich beide Frauen reisefertig: Emmi unter einem im Farbton dem Komplet angepaßten Topfhut; die Witwe hatte sich für eine laut innerem Firmenzeichen original Baskenmütze entschieden, die eigentlich Fonty gehörte: ein Weihnachtsgeschenk aus Frankreich. Es roch nach Mottenkugeln und Kölnisch Wasser. Mutter und Tochter waren zu entschlossenem Trauergesicht fähig. Letzte Anweisungen für Hoftaller: Post könne er nachschicken. Durch die nun wieder halboffene Tür zur Studierstube warfen beide einen letzten Blick auf den ruhig schlafenden Mann und Vater. Da klingelte es.
    Diesmal hatte es kein Telegrammbote eilig. Die zartbittre Person stand vor der Tür, hielt den Kopf ein wenig schräg und sagte: »Alloh, da bin ich wieder.«
    Hoftaller, der geöffnet hatte, gab uns auch hierzu Auskunft: »Wie das Leben stand sie da. einfach umwerfend.«
    Und Emmi Wuttke sagte uns: »Wir waren erst mal verdattert. Aber richtig niedlich, die Kleine.«
So muß es gewesen sein. Madeleines leichtes, großblumig gemustertes Trägerkleid, das die Schultern freigab, verkündete den beiden Frauen in Trauerdunkel, daß draußen auf allen Straßen und Plätzen der Sommer mit unbeweglicher Hitze lastete; und umgekehrt konnte der düsteren Garderobe auf ersten Blick eine schlimme Nachricht abgelesen werden.
Hoftaller übernahm es,

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