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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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anhaltende Gefangenschaft wollte kein Ende nehmen. Manchmal hörten wir Fonty rückwirkend wie gegenwärtig stöhnen, und doch trug er seine doppelt geschnürte Last über alle Wendezeiten hinweg; ein Archibald Douglas, dem keine Gnade zuteil wurde.
    Natürlich gab es auch zwanglose Paternostergespräche. Als der Soldat Wuttke im April des ersten Kriegsjahres von einer Dienstreise aus dem Protektorat Böhmen und Mähren zurückgekommen war, hüpfte er in eine aufwärts steigende Kabine, in der ein dunkelhaariger Wuschelkopf stand und eine Adler-Schreibmaschine umklammert hielt. Fonty hat uns eingestanden, daß er »das junge Ding« auf »höchstens achtzehn« taxiert habe und daß ihn die Schreibmaschine sogleich auf einen Gedanken gebracht hätte. Sonst eher schüchtern und alles andere als ein Schwerenöter, sei es ihm im Paternoster leichtgefallen, mit dem »kolossal niedlichen Fräulein« ins Gespräch zu kommen. »Man lächelt hin und zurück und sagt dann was.«
    Er hat ihr angeboten, die schwere Maschine zu tragen. Diese zu plötzliche Annäherung wurde abgelehnt. Erst nachdem der Soldat sich vorgestellt hatte, durfte er die »Adler« übernehmen. Er schlug, als er sich im Paternoster bekannt machte, die Hacken zusammen. Das Fräulein hieß Emilie Hering, wollte aber Emmi genannt sein. Er wollte wissen, ob sie mit dem Schriftsteller Willibald Alexis, der den berühmten Roman »Die Hosen des Herrn von Bredow« geschrieben habe, irgendwie verwandt sei. Dessen bürgerlicher Name Häring wäre einst von dem hugenottischen Einwanderernamen Hareng abgeleitet worden. »Nich um drei Ecken rum!« Emmi bestand darauf, oberschlesischer Herkunft zu sein. »Außerdem les ich keine unanständigen Bücher, in denen es um Hosen und sowas geht.« Da hatten sie schon den Ausstieg im siebten Stockwerk verpaßt. Der Soldat sprach dem Fräulein beruhigend zu, denn nicht ohne Angst erlebte Emmi die Wendemarke im Dachgeschoß, das leichte Seitwärtsruckeln und den sofort beginnenden Abstieg in der gemeinsamen Kabine. Sie nannte dieses Erlebnis aufregend. Das habe sie noch nie gewagt. »Is richtig spannend, aber schlimm überhaupt nich.« Und weil beide im Gespräch blieben, genoß Emmi die untere und obere Wendemarke mehrmals. »Viele Vaterunser lang«, sagte Fonty zu uns, seien sie sich nähergekommen. Zuerst habe er nur auf die Büroschreibkraft spekuliert, doch dann sei es der kastanienbraune Wuschelkopf gewesen, der ihn närrisch gemacht habe. »War Liebe auf zweiten Blick. Habe allerdings darauf bestanden, Emilie sagen zu dürfen. Paßte ihr gar nicht. Aber dann durfte ich doch – und ein bißchen mehr …« So lernte Theo Wuttke seine spätere Verlobte, die Mutter seiner Kinder, Emilie Wuttke, geborene Hering, kennen. Nach gerade abgeschlossener Lehre hatte sie als »Tippse« und Stenotypistin in einem der vielen Vorzimmer der Reichsluftfahrt Anstellung gefunden. Und gerne war sie bereit, des Kriegsberichterstatters Wuttke handschriftliche Stimmungsbilder nach Dienstschluß, wie sie sagte, »ins reine« zu tippen. Schriftlich sei sie gut. Sie werde sich schon hineinlesen. Und zu Hause, bei ihrer Tante Pinchen. habe sie eine funkelnagelneue »Erika« stehen. Erst nach dem fünften Vaterunser will der Soldat Wuttke das Bürofräulein Emmi geküßt haben, und zwar an der unteren Wendemarke und schon wieder im Aufstieg begriffen.
    Jedenfalls begann ihre Geschichte im Paternoster. Und der Bericht aus Böhmen, den Emmi Hering säuberlich in Maschinenschrift gebracht hat, las sich flüssig. Wie selbstverständlich waren den Reiseimpressionen lange zurückliegende Schilderungen des sechsundsechziger Krieges gegen Österreich unterlegt, mithin Beobachtungen, die er bei der Besichtigung des einstigen Schlachtfeldes von Königgrätz notiert hatte. So gut wie nichts stand über die zivilen Zustände im besetzten Protektorat in seinem Bericht, doch wurde an die historische Schlacht erinnert; der Kriegsberichterstatter Theo Wuttke war ein Meister der Aussparung. Und als er zwei Tage später Tallhover neben sich hatte, um diesem, wie üblich, die angeforderten Stimmungsbilder aus der Etappe zu übergeben, zog er die frisch abgetippte Fassung seines Manuskripts aus der Kuriertasche und will gesagt haben: »Herrgott! Wie mir alles wieder lebendig wurde. Etwa das Gehölz von Sadowa oder das Dorf Cistowes, darin wir damals wenig Zerstörung fanden, da das Feuer der großen Chlum-Batterie darüber hinweggegangen war. In Lipa, das heute auf

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