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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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lobend erwähnen. Hochmoore, Schloßruinen auf schottischer Hexenheide, alles bestens, aber gebraucht werden Sie hier, besonders in Wendezeiten, in denen alles, na ja, alles von Menschenhand, auf der Kippe steht.« Abrupt ging Hoftaller. Kein Blick über die Schulter zurück. Bis in Höhe der verwitterten Fassadenangebote am Putzsockel des Nachbarhauses – »Kurzwaren, Schuhcreme, Butterbrot- und Klosettpapier« – hörte Fonty, daß sich sein davontippelnder Tagundnachtschatten nicht von einem allzeit triftigen Hexenbefund trennen konnte. Doch nicht düster, eher gutgelaunt wiederholte Hoftaller den Ohrwurm: »Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand«, auch dann noch, als Fonty schon mit seinem Reisegepäck treppauf stieg.
    Wir vom Archiv sind es gewohnt, bereits Gesichtetes nochmals zu überprüfen, feststehende Beurteilungen in Zweifel zu ziehen und Quellwasser auf unsere Papiermühle zu leiten, gleich, ob es sprudelt oder nach kurzem Erguß zum Rinnsal wird. Von Berufs wegen sind wir neugierig. Zeitzeugen wollen gehört und unmittelbar am Geschehen beteiligte Personen müssen, so subjektiv fragwürdig ihr Urteil ausfällt, befragt werden, auch Familienmitglieder, die sich gern in betretenes Schweigen retten.
    Doch Fontys Tochter Martha gab Auskunft: »Und ob uns Vater nen Schreck eingejagt hat! Mama war außer sich, als sie den Brief auffem Küchentisch fand. Und was er da alles fein säuberlich drumrum gelegt oder draufgepackt hat, sozusagen als Briefbeschwerer: lauter Orden von früher. Na, vom Kulturbund die BecherMedaille in Bronze. Und die Aufbaunadel in Silber, die ihm die Nationale Front, glaub fünfundsechzig, angesteckt hat. Und den Vaterländischen Verdienstorden, nur in Bronze natürlich. Und noch paar Medaillen und Aktivistennadeln. Genau, sah ziemlich makaber aus. Ich war ja schon aussein Haus und Mama noch im Bett, als er sich weggemacht hat, ganz leise auf Socken, ohne Reisekoffer. Den hat er im HdM, womöglich im Keller oder vielleicht unterm Dach abgestellt gehabt. Jedenfalls saß Mama wie verhagelt, als ich gegen Mittag zurückkam, weil ich dienstags nur vier Stunden auffem Plan hab. Kein Wort, aber schob mir wortlos den Brief hin. Ahnte schon im Prinzip, was da drin stand, als ich den Ordenssalat auffem Küchentisch sah. Na, was schon! Sein übliches Gestöhn: ›Kann nicht mehr. Ist nicht mehr tragbar. All die Jahre wie eingemauert. Immer gegängelt. Da hilft nur Abschied nehmen und untertauchen …‹ Genau, steht hier wortwörtlich: ›Will untertauchen und dort, wo es still ist, auftauchen wieder.‹ Und das noch: ›Will irgendwo bescheiden am Rand meiner Diogenestonne sitzen und die Welt beschweigen …‹ Natürlich dicke Entschuldigung und tausend Dank an Mama für ihre ach so oft strapazierte Geduld. Und für mich jetzt schon ›Glückwünsche für die liebe Mete‹, wobei er wieder mal meinen Verlobten mit dem Mann von der historischen Mete verwechselt hat. Der hieß ja, wie Sie wissen, Fritsch und nicht Grundmann wie mein Heinz-Martin. Also, hier steht es, bittschön, sogar mit Tinte in Schönschrift: ›Macht nichts, daß er seit zwei Monaten erst Witwer ist. Dieser kurze Abstand zwischen Todes- und Hochzeitstag schafft nun zwar allerlei Verlegenheit, dennoch hast Du alle Ursach, glücklich zu sein. Dein Herr Fritsch ist ein kluger und gescheiter Mann von guter Gesinnung …‹ Und so weiter bis hierhin: ›Zwar weiß ich mich von allen kleinstriezigen Gedanken über Eheglück frei, doch wünsche ich Euch zum Hochzeitstag …‹
    »Na, das kann ich natürlich meinem Zukünftigen nicht erzählen, sowas. Und hier, da bittet er Mama, seinen ›Brieffreund Friedlaender‹, genau, diesen Juden von damals, der irgendwas, glaub, Richter im Riesengebirge gewesen ist und den es natürlich nicht mehr gibt, von seiner Abreise zu benachrichtigen. Genau! Er meint im Prinzip diesen Professor aus Jena, Freundlich heißt der und ist natürlich auch Jude. Und ausgerechnet diesem Klugscheißer, den Mama noch nie verknusen gekonnt hat, sollte sie schreiben, daß endlich auch er von den Privilegien der Reisekader Gebrauch machen kann. Was ja stimmt. Denn bis vor kurzem noch durfte Vater nie raus, jedenfalls nicht Richtung Westen. Aber dieser Freundlich, der durfte und durfte, bis er sich unbeliebt gemacht hat bei den Genossen wegen Revisionismus und fehlender Festigkeit des Standpunkts. Nur Vater, der zwar Kulturschaffender war und jede Menge Orden und sogar Prämien bekommen hat, gehörte nie

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