Ein weites Feld
Vater wußte immer Bescheid, na, über alles. Er traf sich da manchmal mit Leuten, die so verrückt wie er nach Altertümern waren. Genau, all die Generäle und das gesamte Adelsgesocks. Lauter Reaktionäre, hab ich gedacht und deshalb … Geb ja zu, daß ich ein paar Berichte … na, über angebliche konspirative Treffs: Hab mich mißbrauchen lassen von diesem, na, Sie können sich denken, von wem. War zwar erst vierzehn oder knapp fünfzehn, ist aber trotzdem ne miese Nummer gewesen, auch wenn nix drin stand von ›antisozialistischen Umtrieben‹ oder so, nur, daß da ziemlich langweiliges Zeug gequatscht wurde. Klar, heut schäm ich mich, aber damals … Weiß noch genau, wie sich Vater in Kossenblatt mit dem Schriftsteller, Sie sagen es, de Bruyn war das, stundenlang rumgestritten hat, ob der Graf Barfus vom Soldatenkönig gezwungen wurde, sein Schloß zu verkaufen, und ob son Ölschinken mit der Familie von Oppen drauf ein Original war oder bloß ne Kopie. Und dann die Sache mit dem Hirschgeweih, das nach Sachsen verkauft wurde und deshalb sogar irgendwo bei Karl May vorgekommen sein soll. War ja im Prinzip alles ganz harmlos. Hab deshalb auch vom Schloß, das mit den toten Vögeln drin gebrannt hat, nix geschrieben, weil Vater alles bloß hinphantasiert hat, um mir nen Schreck einzujagen. Sind aber trotzdem meine schönsten Kindheitserinnerungen. Und wenn ich mitdurfte, wenn er beim Kulturbund, wie Vater gesagt hat, ›vorsingen‹ mußte, war ich ganz glücklich manchmal. Weiß noch, in Cottbus, über Frauengestalten: Melanie, Effi, Corinna, Stine, Mathilde und so weiter. Oder bei Ihnen in Potsdam, über ›Schach von Wuthenow‹ natürlich, wie die Frau von Carayon zum König geht und der immer so abgehackt preußisch redet: ›Erinnere Kinderball. Schöne Tochter. Damals. Sehr fatal. Sich setzen, meine Gnädigste …‹ Vater konnte das gut nachmachen. Haben alle geklatscht und gelacht. Er redet ja manchmal selber so, na, wie’s hier im Brief steht: ›Spiel nicht gern den Moralisten. War immer ein Singleton. Immer bloß Zaungast. Dinge beobachten ist besser als Dinge besitzen. Will deshalb abtauchen … (Und dieser Kerl, na, sein Tagundnachtschatten, wie Vater sagt, redet manchmal genauso: ›Wolln doch vernünftig bleiben. Finden doch selbst, daß der Westen nichts taugt. Will nicht Meldung machen müssen … Kann aber auch anders …‹ Jedenfalls war das ganz witzig damals in Potsdam. Vorher gab’s Kaffee und Kuchen beim Kreissekretär vom Kulturbund. Im Prinzip nette Leute meistens. Aber warum mich Vater manchmal mit seiner Corinna Schmidt verglichen hat, weiß ich bis heut nicht. Wär ja was, wenn ich die kesse Lippe von der hätte, na, wie die mit der Treibelschen abgerechnet hat, freiweg. Möcht ich auch manchmal, besonders Vater gegenüber, wenn der wieder mal durchdreht wie jetzt. Aber nun ist er ja zurück. Und Mama ist natürlich glücklich, trotz allem. Denn was diese Frau mit ›ihrem Wuttke‹, wie sie sagt, durchgemacht hat, geht auf keine Kuhhaut. Und seitdem die Mauer weg ist, wird es noch doller mit ihm. Hängt immer drüben im Tiergarten rum und denkt sich was aus. Fakt ist, daß dieser Kerl, na, Sie wissen schon, ihn am Haken hat. Immer schon im Prinzip. Müßte doch eigentlich Schluß damit sein, seitdem die Normannenstraße dichtgemacht ist und die Firma angeblich Mix mehr zu melden hat. Aber nein! Ohne den läuft nix. Genau! Der hat sogar dafür gesorgt, daß Vater, als er nicht mehr beim Kulturbund vorsingen wollte und einfach alles hinschmiß, den Halbtagsjob im HdM bekommen hat, auch daß er nach der Wende da weitermachen durfte. Mama ist ungerecht, wenn sie immer nur rummäkelt: ›Was ist das schon, Aktenbote?‹ Denn im Prinzip läuft alles bestens für ihn, wenn er beschäftigt ist und obendrein auf seine Rente was draufkommt. Genau, finden wir auch: Für sein Alter ist er immer noch gut auf den Beinen …«
Darin war Martha Wuttke zuzustimmen. Und gleichfalls hätten wir ihre Zweifel am väterlichen Vergleich ihrer Person mit der Romanfigur Corinna Schmidt bestätigen können; sie mußte ohne angeborene Leichtigkeit und schlagfertigen Witz auskommen. Eher sahen wir Martha grobgliedrig beschaffen und von sperrig verschlossener Art, wenngleich ihr, von uns befragt, mehr über die Lippen kam., als ihr Kopf zulassen wollte. Hierin dem Vater ähnlich, neigte sie zu verknappten Sätzen; eine Sprechweise, die neuerdings sogar im Archiv um sich greift und die preußische
Weitere Kostenlose Bücher