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Ein weites Feld

Ein weites Feld

Titel: Ein weites Feld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günter Grass
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Buchstaben aus den Stiften: das große A, das große M, das große Z. Ein ganz großes E sollte wohl Effi bedeuten. Er erlaubte ihnen, in schöner Unordnung zu liegen, und genoß die fein abgestimmten Töne, sobald er alle zwölf hölzern auf dem rechten Handteller hüpfen, tanzen, einander bedrängen ließ. Dann nahm er jeden einzelnen Bleistift, hielt ihn in Schreibhaltung und kritzelte in die Luft: Wort nach Wort, kurze und lange Sätze, Zitate und Eigenes, Blatt auf Blatt, darauf viel geplauderte Rede, in Gänsefüßchen gesetzt. Wir stellen uns Anfänge vor: »Als mir es feststand, mein Leben zu beschreiben …«, dann: »Das erste Kapitel ist immer die Hauptsache, und in dem ersten Kapitel die erste Seite, beinah die erste Zelle …« und danach: »Bei richtigem Aufbau muß in der ersten Seite der Keim des Ganzen stecken …« So sehr gefiel ihm das schier unerschöpfliche Geschenk, die »Russischgrünen«, wie Fonty das Dutzend Bleistifte nannte. Als Hoftaller das Fenster der Kammer zum Hof geöffnet und etwas lauwarmen Sommer eingelassen hatte, sagte der Kranke auf dem Weg zur Genesung: »Habe ja eigentlich noch genug Stifte vom letzten Ausverkauf mit dem alten Geld vorrätig. Aber die hier machen was her. Sind Weststifte mit Goldschrift drauf. Gold auf Grün. Hübsch, die Waage als Signum. A. W. Faber-Castell 9000. Und die richtige Schreibstärke: 3 B! Nicht zu hart, nicht zu weich für das jüngste Kind meiner Laune. Haben ja keine Ahnung, Hoftaller, was in solch einer Bleimine alles drinsteckt. Entwürfe zuerst, ob Brief oder Novelle. Ganze Romane oder Lebensläufe: das Glück und das Unglück in Fortsetzungen. Immer frisch angespitzt bis runter zum Stummel. Denn sogar mit dem Stummel kann man, wenn es denn kommt und nicht nur drippelt, ein kurzes Zwischenkapitel hinkritzeln. Und dann der nächste Stift … Für die Reinschrift wird meine Emilie sorgen … Zwar liegt mir nur wenig an Unsterblichkeit, diesem, wie bei Schiller, perpetuierlichen Lorbeerzustand, aber haltbar muß es schon werden, was, Tallhover! Spielen mir hier den Doktor Delhaes vor. Weiß schon, gibt keine Ausrede mehr, denn mit Papier haben wir uns rechtzeitig eingedeckt – kann ja wieder mal knapp werden …«
    Wir wissen, daß Hoftaller nur noch ein halbes Stündchen geblieben ist. Sie sollen von alten Zeiten geplaudert haben. Doch während ihnen preußische, schottische, wilhelminische, dann großdeutsche und zwischendurch immer wieder realsozialistische Anekdoten eingefallen sein mögen, hörte Fonty nicht auf, mit den westlichen Bleistiften zu spielen: Er legte sie Dreieck auf Dreieck verkantet, dann Viereck auf Viereck. Ein Anschein von Glück lag auf dem Spiel. Ob bei diesem Geplauder ohne Rücksicht auf geschwundene Zeit abermals die Kinderjahre angetippt worden sind, wissen wir nicht, vermuten eher, daß Hoftaller immer wieder Situationen in Erinnerung gebracht hat, in denen Tallhover aktiv wurde, zum Beispiel jene verquere Lage, in die sich der Luftwaffengefreite Theo Wuttke ab Frühjahr 43 leichtfertig hineingeschrieben haben soll. Es hieß, er habe nicht nur durch Kurierdienst, wenn auch unwissentlich, zum Widerstand beigetragen, sondern sich zudem durch Briefwechsel mit hochgestellten Offizieren belastet, unter ihnen einige, denen später das mißglückte Attentat zum Verhängnis wurde. Zwar habe der Wortlaut der Briefe an Adlige preußischer Herkunft – solche mit klangvollsten Namen -nichts Konspiratives preisgegeben, denn immer nur hätten Rückbezüge auf gleichnamige Adlige im literarischen Werk des Unsterblichen eine Rolle gespielt, doch soll Tallhover Mühe gehabt haben, den Kriegsberichterstatter vor Freislers Volksgerichtshof zu bewahren; schließlich kam der private Vielschreiber davon, während einige seiner Briefpartner, unter ihnen ein Generalfeldmarschall, ihr Ende durch den Henker in Plötzensee fanden. Es kann aber auch sein, daß beide nur harmlos geplaudert haben, denn Emmi Wuttke, die in der Küche mit ihrem Blasentee saß, hörte immer häufiger Fontys helles, schon wieder jünglingshaftes Lachen. Sie klopfte an die Zimmertür der bettlägrigen Tochter, klopfte sie aus dem Bett. Emmi und Martha hörten das Gelächter, wie es auflebte, Mal um Mal. Soviel Heiterkeit rief beide in die Krankenkammer, die bald wieder Studierstube sein sollte. Mutter und Tochter fanden einen Genesenden vor, der mit hübsch grünlackierten Bleistiften spielte und dessen heilender Arzt Hoftaller hieß.
    Der sagte: »Ganz schön

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