Ein wilder und einsamer Ort
Punkte durch.
»In zwei Stunden bin ich da.«
»Habiba und ich warten.«
Die Plantage war im achtzehnten
Jahrhundert errichtet und im neunzehnten dem Verfall überlassen worden.
Nebengebäude waren eingestürzt, Palmettos hatten die Felder erobert, und Moos
hing schwer an den Bäumen. Nur das dunkle Steinhaus stand noch als Erinnerung
an die Zeiten des Zuckerrohrs und der Sklaverei. Es war ebenfalls in schlechtem
Zustand und von Ranken überwuchert; ein ausgeweideter Studebaker rottete im
Garten vor sich hin.
Regina hatte darauf bestanden, daß wir
uns von Kenny hinfahren ließen, und sie hatte mich vergattert, ihn auf keinen
Fall bei unserer Ankunft zu bezahlen. Sie würde vielmehr das Geld an sich
nehmen und es ihm erst dann geben, wenn wir in der Luft waren und er sie wieder
zu Hause abgesetzt hatte. Der Taxifahrer zeigte wenig Neugier, was den Zweck
unserer Fahrt anging; vermutlich dachte er, wir wollten zu der Pflanzung, um
den jetzigen Bewohner zu missionieren. Er beschränkte sich darauf, bei der
Einfahrt in das Gelände die Plantage als »Gammelbude« zu bezeichnen.
Als wir ausgestiegen waren, sagte
Regina, ich solle mit Habiba im Schatten eines verwilderten Obstbaums neben dem
Schrottauto warten. Sie ging zur Haustür, klopfte und redete ein Weilchen mit
jemandem im Haus. Dann kam sie langsam durch die drückende Nachmittagshitze zu
uns zurückgestapft.
»Marcel hat mir beschrieben, wie wir zu
der Landebahn kommen. Er ist ein bißchen menschenscheu, deswegen kommt er nicht
mit.« Sie sah auf das Taxi, schüttelte dann den Kopf. »Es ist ein ganzes Stück
von hier. Es gibt einen Zufahrtsweg, aber wir haben die Zeit, hinzulaufen, und
ich will nicht, daß der Fahrer die Maschine oder das Kennzeichen sieht.«
»Sie trauen ihm wirklich nicht.«
»Wie ich gestern schon sagte — ich
kenne ihn nicht. Vorsicht mit Fremden ist mir inzwischen zur zweiten Natur
geworden.«
»Aber mir haben Sie doch vertraut, als
ich an Ihre Tür geklopft habe.«
»Auf der anderen Seite habe ich auch
ein instinktives Gespür für Menschen entwickelt. Ich erkenne Leute von meinem
Schlag.« Sie zeigte in Richtung Garten und marschierte los. Habiba, die kein
Wort mehr gesagt hatte, seit sie vorhin bei Regina ein Glas Saft angenommen
hatte, klammerte sich an mein Hosenbein. Ich drückte kurz ihre Schulter, froh,
daß sie mich nicht an der Hand fassen wollte; nur keinen Körperkontakt bei dieser
gottverdammten Hitze.
Jenseits des unkrautüberwucherten
Gartens standen die Bäume dichter, und das Moos hing noch tiefer herab. Regina
sagte: »Marcel hat alles ganz schön verkommen lassen.«
»Wie lange wohnt er schon hier?«
»Zehn Jahre.«
»Sieht aus, als wäre hier schon viel
länger nichts mehr getan worden.«
»In den Tropen wächst alles schnell.
Der Vorbesitzer hatte das Anwesen schon fast wiederhergerichtet; er wollte ein
exklusives Urlaubshotel daraus machen.«
»Was ist aus ihm geworden?«
»Er ist tot.«
Habibas Hand krampfte sich um den Stoff
meines Hosenbeins. Ich guckte hinunter und sah, daß sie den Kopf wieder gesenkt
hielt. Mir war klar, daß das Wörtchen »tot« diese Reaktion ausgelöst hatte. Wir
würden bald über den Tod ihrer Mutter reden müssen, ehe sie noch bleibende
seelische Narben davontrug, weil sie das Erlebnis die ganze Zeit
hinunterschlucken mußte.
Regina hatte es ebenfalls gemerkt. »Tut
mir leid«, sagte sie leise. Wir marschierten fast zwanzig Minuten durch dichten
Dornwald und erreichten schließlich eine Schneise, durch die sich ein schmaler
Asphaltstreifen zog. Ich starrte betroffen auf den rissigen, mit Schlaglöchern
durchsetzten Belag. Ich hätte hier gar nicht landen können, hätte noch nicht
mal den Versuch gemacht. Aber Hy hatte schon alle möglichen Flugzeugtypen unter
allen möglichen Bedingungen sicher heruntergebracht. Er würde es schaffen.
Regina wischte sich den Schweiß von der
Stirn. Ich mußte an den langen Fußmarsch zum Taxi denken, den sie noch vor sich
hatte. »Werden Sie’s schaffen?«
Sie lächelte. »Wie man an meinem Vater
sieht, sind wir Altagracias ein zählebiger Schlag.«
»Trotzdem — tut mir leid, daß wir Ihnen
das alles zumuten.«
»Lieber das hier, als an die Türen von
Leuten zu klopfen, die nichts von Gottes Wort hören wollen. Ich bin schon vor
langer Zeit zu dem Schluß gelangt, daß man seine Botschaft besser durch die Tat
verbreitet als durch fromme Reden und Schriften.«
Wenn mein Leben anders verlaufen wäre,
hätte sie mich
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