Ein wildes Herz
nach Liebe erfüllt, das zu groß, zu verzweifelt war. Sie war sich ziemlich sicher, dass sein Herz nicht zum ersten Mal gebrochen worden war, und war er nicht trotzdem zu ihr gekommen?
In den Wäldern um sie herum fielen die Blätter von den Bäumen, die Vögel flogen gen Süden, während sie dasaß, den Rock bis zur Taille aufgerollt, und versuchte, in ihrem Kopf den Film abspulen zu lassen, in dem sie für den Rest ihres Lebens würde leben können, die niemals enden wollende Filmspule ihrer Phantasie.
Mittlerweile nannte sie Boaty Mister Glass, wenn sie mit ihm zusammen war. Er nannte sie überhaupt nicht, schlief getrennt von ihr und berührte sie weder, noch kam er in ihre Nähe.
Er schien sich zu überlegen, was er mit ihr tun sollte. Ja, hinauswerfen könnte er sie, aber dann würde sie eine Stange Geld kosten, und eine so gute Ausrüstung warf man nicht einfach so weg. Sie machte ihm Abendessen und benahm sich, soweit er das sagen konnte, und außerdem hatte sie all die blöden Bilder von der Wand genommen und ihre peinlichen Klamotten verbrannt, und sie hatte mit ihrem Geschwätz über Hedy Lamarr und diese Kanaillen vom Film aufgehört, und deshalb würde er einfach abwarten und sehen, wie sie sich aufführte.
Er war älter. Attraktiv war er nie gewesen. Er hatte einfach nur keine Lust auf eine Hetzjagd. Abgesehen davon war das Pferd längst aus dem Stall. Er sah den Ausdruck im Gesicht der Leute, spürte die Blicke in seinem Rücken, wenn er sich entfernte. Ein Mann, dem seine Frau Hörner aufsetzte. Seit er erwachsen war, hatten sie hinter seinem Rücken gelästert,
was kümmerte es ihn dann, wenn sie es immer noch taten?
Außerdem: Jetzt, wo die Wahrheit heraus war – oder was die Leute dafür hielten –, war er von der schrecklichen Bürde befreit, die es für ihn darstellte, sie berühren zu müssen, sie des Nachts zu besuchen, denn dieser lästige Kram lag hinter ihm. Kein Geturtel mehr. Da war es mit den eigenen Händen besser, er hatte seine Zeitschriften unter dem Bett, im Dunkeln, und morgens stand das Frühstück auf dem Tisch.
Er konnte sie nicht mehr ertragen, selbst ihren bloßen Anblick hielt er nicht sehr lange aus, doch solange sie sein Haus sauber hielt und das Essen pünktlich auf dem Tisch stand, warum sollte er sich noch mehr Probleme schaffen? Sie gehörte ihm, er hatte sie mit gutem Geld gekauft, und einen solch kostspieligen Besitz einfach loszuwerden, darauf hatte er keine Lust.
Nein, er würde sie behalten, würde sie behalten wie Rapunzel in ihrem Turm, denn er wusste, dass sich ihr kein Prinz mehr nähern würde, nie mehr. Er würde es mit den Blicken der Leute und ihrem hämischen Grinsen aufnehmen, weil er wusste, dass sie irgendwann sowieso damit aufhören würden. Er würde sich sogar damit abfinden, dass ihm ab und zu Charlie Beale über den Weg laufen würde, solange der Mann den Mund nicht aufmachte oder ihn irgendwie anschaute.
Die Wahrheit ist, Harrison Boatwright Glass war sowohl faul als auch feige, und er wusste, es würde ihn viel Kraft kosten, Charlie entgegenzutreten, und dass Charlie ihn wahrscheinlich umbringen würde, wenn er ihn blöde anredete. Wenn der Mann einen Funken Verstand besaß, ging er einfach weg, ging dorthin zurück, von wo er gekommen
war, oder in die nächste Stadt, zu der nächsten Frau, die einem anderen gehörte.
Eines Tages nahm Sylvan die Autoschlüssel aus dem Versteck, an dem Boaty sie aufbewahrte – er war leicht zu durchschauen –, und fuhr in die Stadt, um Claudie Wiley zu besuchen, doch zwar war Claudies Auto direkt vor der Tür geparkt, aber sie machte nicht auf, obwohl Sylvan klopfte und klopfte. Irgendwann schob Claudie den Vorhang an ihrer Glastür zurück – schließlich musste sie Geld verdienen, und es hätte eine Kundin sein können, die einen Saum genäht oder ein Kleid geändert haben wollte – und starrte eine ganze Minute zu Sylvan hinaus, ehe sie den Vorhang wieder fallen ließ und in die Stille ihres Hauses zurückkehrte, zu ihrem Leben, das nach Nadelstichen bemessen war. Claudie würde ihr nie wieder die Tür öffnen. Sie würde sie jeder Frau öffnen, die ein Stück Stoff und einen Traum hatte, aber ihr nicht.
Sylvan fuhr nach Lexington und besuchte noch einmal das State Theater, ohne auch nur zu der Anzeigetafel hoch zu schauen, was denn gespielt wurde. Sie setzte sich auf ihren Stammplatz, dachte eine Sekunde lang daran, wie Claudie damals mit ihrem Zeichenblock oben auf dem Balkon
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