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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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für die Schwarzen gesessen hatte, dachte an die Tage, als das alles gut und möglich gewesen war, und dann holte sie Luft, während die Lichter im Kinosaal ausgingen und der Film begann. Dasselbe silbrige Licht, dieselben strahlenden Gesichter mit ihren schönen, großen Zügen, die in einer verdunkelten Welt ihr Licht zu verbreiten schienen, doch da war nichts für sie. Nicht mehr. Sie verließ das Theater, trat hinaus in den blendend hellen Herbstsonnenschein auf der Nelson Street, kramte in ihrer Handtasche nach den Schlüsseln und versuchte, durch die blendende,
eisige Helligkeit ihren Weg zu finden, zurück zu ihrem Wagen, zurück zu ihrem Leben, zu ihrem Ich. Zurück zu dem Mädchen vom Land, das sie nicht kannte und nie gekannt hatte.

29. KAPITEL

    I n jenem Jahr fiel der erste Mittwoch im Dezember auf einen siebten. Es war Pearl Harbor Day, und alles war beflaggt. Am Nachmittag würden in allen Kirchen Gottesdienste abgehalten werden, um der fast fünftausend Menschen zu gedenken, die an jenem schrecklichen Tag, der nur acht Jahre zurücklag, getötet oder verwundet worden waren. Jeder Mann und jede Frau in der Stadt trug eine kleine Rosette, um an die Tragödie zu erinnern, die ihnen allen noch so frisch im Gedächtnis war, jenen Tag der Schmach, wie sie ihn nannten. Doch es ging auch auf Weihnachten zu, und so hing Weihnachtsschmuck zwischen den Flaggen, und es wurde fleißig geschlachtet und für die Feierlichkeiten vorbereitet. In der Welt passierte so manches: Chiang Kai-shek floh aus China nach Taiwan, doch kaum jemand in Brownsburg bemerkte es. Das Schicksal von Millionen Chinesen war bei weitem nicht so bedeutsam wie das Schicksal der Menschen, an deren Seite man Tag für Tag lebte. Die fruchtbare Erde des hügeligen, steinigen Countys lag still und stumm da, kalt, aber noch nicht gefroren. So steinig es auch sein mochte, war das Land doch gut zu seinen Bewohnern gewesen, und so war man im Allgemeinen auch recht gut zueinander, um dies wettzumachen. Vielleicht war das
etwas, das das Land ihnen zuflüsterte, vielleicht war das ja die Botschaft  – dass es das Gute im Menschen gibt. Überall. Es war hart erarbeitet, lange erinnert und kaum bemerkt, doch es war da. Für immer.
    Als Charlie erwachte, war er verzweifelt, so wie er es jeden Morgen war. Wenigstens wachte er diesmal in seinem eigenen Bett auf und nicht auf dem Sofa oder dem Küchenboden, wo er sich so oft wiedergefunden hatte seit jenem Morgen, an dem sie den Gerichtssaal und sein Leben verlassen und den Lauf seines Lebens so sehr verändert hatte, dass er nicht mehr wiederzuerkennen war.
    Obwohl er für die Menschen, denen er begegnete, aussah wie immer, jene Leute, die ihn ebenso liebten wie sie ihn ausgestoßen hatten, konnte er sich selbst kaum wiedererkennen. Mittlerweile brauchte er jeden Morgen eine Stunde, um wieder so auszusehen wie immer, er musste seine Augen spülen, um klar zu sehen, musste ein heißes Bad nehmen, um den Nachtschweiß abzuwaschen, diesen glitschigen Film aus Angst und Zorn, der seinen Körper des Nachts bedeckte. Sein Körper, dünner geworden und doch auch stärker, lag träge in der Wanne, und irgendwann waren die nächtlichen Schrecken abgespült, aufgelöst in dem Wasser, das allmählich abkühlte, und wenn er dann, auch nur einen Moment lang, von Frieden erfüllt war, erhob er sich tropfnass aus der Wanne, so wie damals  – so lange war das her  – aus dem Fluss, und er zog sich an, schlich sich an der Tür vorbei, hinter der sein Bruder schlief, Whiskey und Sägespäne, dieser drahtige Junge, der einfach gekommen war und keinerlei Anstalten machte, wieder zu gehen, als wüsste er instinktiv, dass Charlie Beale nicht mehr alleine leben konnte, dass er sich weder ernähren konnte noch um die Hilfe bitten, die er brauchte, und so konnte sie ebenso gut
auch von seinem eigenen Fleisch und Blut kommen. Wenigstens Trost konnte er ihm spenden.
    Es war hart für Charlie geworden, Alma gegenüberzutreten. Es war ihre Herzenswärme, die er nicht ertrug, denn er wusste, unter diese Wärme mischte sich auch Missbilligung, und das zu Recht  – ihre Missbilligung darüber, wozu ihn seine Begierden getrieben hatten. Sie war nie anders als freundlich, doch jetzt hatte sie auch Angst, sie hatte Angst um ihn und natürlich auch um ihren Jungen. Sie und Will hatten sich am Abend zuvor unterhalten. Die Ausflüge mussten aufhören, da waren sie sich einig, es musste ein Weg gefunden werden, den Mann von dem Jungen

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