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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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dann doch nicht. Claudie würde sich nicht erwischen und ins Gefängnis stecken lassen, bloß weil eine Weiße es von ihr verlangte.
    »Nicht einmal an dem Tag nach dem vierundzwanzigsten August? Dem letzten Mal?«
    »Nein, Sir, sie hat nie etwas gesagt.«
    »Wann hat sie Ihnen denn zum ersten Mal von diesen angeblichen Vergewaltigungen erzählt?«
    »Vor etwa zwei Wochen, Sir.«
    »Und als Sie dann endlich alles gehört hatten, ihre ganze Schilderung dieser brutalen Vergewaltigungen, die bereits fast ein ganzes Jahr vor sich gingen, wie haben Sie sich da gefühlt?«
    »Zuerst tat es mir leid. Sie mag ihn. Glaube ich.«
    »Und dann?«

    »Ich habe ihr nicht geglaubt.«
    »Einspruch, Euer Ehren. Spekulation.«
    »Abgelehnt.«
    »Und dann, Mrs. Wiley?«
    »Ich hab’s nicht geglaubt, und ich glaube es immer noch nicht. Ich glaube ihr nicht.«
    »Einspruch. Das ist reine Spekulation.«
    Der Richter ignorierte die Proteste des Staatsanwalts und entließ Claudie aus dem Zeugenstand, den sie verließ wie einen Thron, eine entthronte Königin, die erhobenen Hauptes davonschritt.
    Der Gerichtsdiener rief Mrs. Harrison Glass auf, und die beiden Frauen, die sich noch vor wenigen Momenten nahe gestanden hatten wie Schwestern, gingen blicklos aneinander vorbei.
    Als Sylvan durch die Schwingtür trat, die zum Zeugenstand führte, richtete sich Charlie leicht auf und drehte sich um, um sie anzusehen, und sprach, so leise und atemlos, dass nur Elinor und Ansolette, die direkt hinter ihm saßen, es hören konnten.
    »Sylvan«, sagte er. Sie blieb stehen, ohne sich ihm zuzuwenden. »Mädchen, was geschehen ist, ist geschehen. Tu das nicht, sag es nicht. Nicht mir ins Gesicht. Nicht vor dem Jungen.«
    Sylvan trat in den Zeugenstand und blickte sich um, als wüsste sie nicht, was sie tun sollte. Die Jury nahm alles an ihr in sich auf: ihre Haltung, ihr schwarzes Kleid, aus einem Hollywoodfilm kopiert, die weißen Handschuhe, die sie sich mit peinlicher Sorgfalt von den Fingern zog.
    Man legte eine Bibel vor sie hin und wies sie an, die linke Hand darauf zu legen, was sie schüchtern tat, denn sie war sich nicht sicher, was nun geschehen würde.

    »Schwören Sie feierlich, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit?«
    Und dann warteten sie einfach nur. Sie war in ihrer steifen Körperhaltung erstarrt und sah in ihrem schwarzen Kleid, dem Hut mit dem Schleier und dem blonden Haar wie eine Statue aus, eine elegante Gestalt in Trauer.
    »Mrs. Glass?«
    »Könnten Sie das bitte wiederholen?«
    »Schwören Sie feierlich, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit?«
    Sie hüstelte, räusperte sich, und dann sprach sie mit leiser, vornehmer Stimme, der Stimme, die sie an so vielen Nachmittagen im Dunkel des Kinosaals so geduldig und sorgfältig geübt hatte, der Stimme, die sie jedes Mal fünfundzwanzig Cent gekostet hatte, abgeschaut von den Mündern von Frauen, denen sie nie begegnen und die sie nie und nimmer sein würde, ganz gleich, wie innig sie sich das wünschte.
    »Nein, ich glaube, das werde ich nicht. Ich glaube nicht, dass ich das tun werde. Sie müssen mich entschuldigen.«
    Und dann zog sie ganz ruhig ihre Handschuhe wieder an, zuerst den linken und dann den rechten, schob den Schleier wieder vor ihre Augen, und dann trat sie aus dem Zeugenstand und ging langsam und gemessen durch den Gerichtssaal, durch die Tür und schließlich die steile Marmortreppe hinab, wischte sich den Mund mit einem weißen Spitzentaschentuch ab und ging in die Herbstsonne hinaus. Und dann war es vorüber.
    Es war der letzte und einzige Moment in ihrem Leben, den sie selbst bestimmt hatte. Sie war erst zwanzig Jahre alt und war einen Augenblick lang zu dem eigenständigen Menschen geworden, der sie nie wieder sein würde.
    Sie hatte ihre große Szene gehabt.

    Was auch immer sie getan hatte, sie war kein schlechtes Mädchen. Was auch immer Sie denken, schlecht war sie nicht.
    Das Leben war hart zu ihr gewesen, und dieses eine Mal hatte sie zurückgeschlagen.

28. KAPITEL

    S ie lag zwei Wochen im Bett und weinte. Sie weinte so heftig, dass ihr der ganze Körper wehtat. Als sie dann endlich aufstand, verprügelte er sie so sehr, dass sie eine weitere Woche im Bett blieb. Für sie gab es nichts mehr, an dem sie sich festhalten konnte, und nichts, das sie loslassen konnte. Bis auf eines: Sie hatte immer noch ihr Geheimnis, die Dokumente, die in ihrem Versteck unter den Dielenbrettern auf dem Dachboden

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