Ein wildes Herz
eigenen Kram. Diese Crawford kenne ich nicht, und all die anderen Frauen auch nicht. Im Kino bin ich noch nie gewesen. Warum sollte ich?«
»So schöne Leute haben Sie noch nie gesehen. Jede von ihnen. Deshalb nennt man sie auch Stars, schätze ich. Weil sie glänzen und funkeln wie Sterne.«
Da lächelte Claudie endlich, ein breites, liebes Lächeln, mit dem sie plötzlich aussah wie vierzehn. »Wie alt, sagten Sie, sind Sie?«
»Ich bin siebzehn. Und schon verheiratet. Sehen Sie, jetzt haben Sie gelächelt.«
»Sie würden nicht glauben, was ich hier so alles zu hören bekomme und wie manche Frauen sich zum Narren machen. Die halten sich für dünn, wenn sie dick sind, oder andersrum. Die tun so, als wären sie stinkreich, dabei können sie kaum ihre alte Putzfrau bezahlen. Und Sie, Sie denken, Sie können jemand werden, der Sie nicht sind, so wie die, die Sie gesehen haben und von der Sie geglaubt haben, es sei die aus dem Film. Nun, ich mag Träumer, ich bin selbst eine Träumerin. Ich möchte nicht behaupten, ich könnte Sie in diese Miss Cranford oder wie sie heißt verwandeln, aber ganz bestimmt kann ich Ihnen ein paar verdammt hübsche Kleider machen. Schauen wir doch mal, was Sie sich so vorgestellt haben. Zeigen Sie mir diese Zeitschriften.«
Und so setzten sie sich hin und blätterten in Photoplay, in Motion Picture, Screenland und wie sie alle hießen, und Sylvan schlug mit einer Ehrfurcht die Seiten um, als wären es die Seiten einer alten Familienbibel, auf dem Gesicht eine Mischung aus Sehnsucht und Hoffnung. Sie wies auf leichte Kleider für den Tag, so ausgefallen, dass sie aussahen wie aus dem Märchen. Auf Kostüme, bei denen Claudie gleich Lust bekam, die Schere zu holen und loszuschneidern. Auf elegante, luxuriöse Roben, strotzend vor Lebenslust, getragen von üppigen, sinnlichen Körpern. Claudie spürte, wie ihr Herz schneller schlug.
Dies hier war das Mädchen, das genau die Kleider tragen würde, die Claudie nähen wollte, das den wohlgeformten, weiblichen Körper hatte, für den sie so gerne etwas erschaffen wollte. Sie fragte nicht, warum oder zu welchen Gelegenheiten Sylvan diese Kleider in dieser Stadt tragen wollte, sie wusste nur, dass sich dieses Mädchen in den Kopf gesetzt hatte, jemand Besonderes zu sein, und das erregte sie.
Sie gingen alle Zeitschriften durch. Während sie sich die Bilder anschauten, erzählte Sylvan Claudie von den tollen Plätzen, an denen sie gewesen war, von Hollywood, ihrer Unterkunft, einem Hotel namens Roosevelt, wo die Zimmermädchen jeden Tag die Bettwäsche wechselten, sie erzählte, wie sie Bus und Taxi gefahren waren und Hummer gegessen hatten, wie sie ein Filmstudio besucht und einige der Häuser gesehen hatten, wo diese unglaublich schönen Menschen wohnten, und gelegentlich hatten sie sogar durch die dicken, mit Efeu bewachsenen Tore am Eingang einen Blick auf sie erhaschen können.
Sie war in einem Kaufhaus gewesen, mit ihrem Ehemann im Schlepptau. Dort hatte sie so viel Stoff für Kleider gekauft, dass sie bei der Rückkehr ein extra Gepäckabteil im Zug mieten mussten, solche Mengen Stoff, wie selbst Claudie sie nie gesehen hatte. Seide und Wolle, so fein, dass man ein großes Stück durch einen Ehering hätte ziehen können, und Leinen, so fein wie ein Taschentuch.
Sie suchten sechs Modelle aus und wählten das entsprechende Material dazu. Sylvan zog sich bis auf die Unterwäsche aus, und Claudie nahm Maß.
»Sie haben ein gutes Hinterteil für Kleider«, sagte Claudie an einem bestimmten Punkt.
Sylvan lachte. »Das soll heißen, groß«, meinte sie. »Jedenfalls ist es noch für etwas anderes gut als nur fürs Sitzen.«
»Wir farbigen Frauen haben alle große Hinterteile«, meinte Claudie.
»Wirklich?«
»Die Klamotten passen einfach besser. Und den Männern gefällt’s.«
»Haben Sie denn einen Mann?«
»Die Männer mögen mich nicht. Die Männer hier, die wollen keine starke Frau, die ihr eigenes Geld und ein eigenes Auto hat. Ich könnte ihnen ja davonlaufen.« Sie lachte. »Und wahrscheinlich würde ich das auch, wenn ich nur wüsste, wohin.«
Es dauerte den ganzen Nachmittag. Bis es Abend wurde, waren zwölf Kleider in Planung, und Claudie wusste bereits, dass sie für die Arbeit, die sie hineinstecken würde, niemals genug bekommen werden würde. Aber das war ihr egal.
Und genau das war das Großartige an Claudie. Es war ihr einfach egal.
10. KAPITEL
C harlie Beale brauchte ein Haus zum Wohnen. Die Nächte
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