Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
Vom Netzwerk:
Jackie kam mittlerweile mit ihnen ins Haus, weil es zu kalt geworden war. Sie hatte nicht mehr diese roten Lippen wie beim ersten Mal, aber sie hatte immer ein schönes Kleid an, immer ein anderes, nie eines, das sie schon einmal an ihr gesehen hatten, und stets gab es Kekse und Milch und neue
Comic-Heftchen, und die Zeitschriften mit den schönen Frauen vorne drauf, die in Pelz oder in dünnen Stoff gehüllt waren, immer mit großen Augen und einem hoffnungsvollen, erwartungsvollen Mund. Manchmal, wenn die Tür sich geschlossen hatte und Charlie und Mrs. Glass nach oben gegangen waren, schaute sich Sam diese Frauen an und dann küsste er sie ganz zärtlich auf die Lippen, die Augen, auf die gepuderten Wangen.
    Oft waren sie lange weg, aber manchmal dauerte es nur zehn Minuten. Manchmal gab es jede Menge Geräusche, und manchmal fast gar keine. Jedes Mal, wenn von Charlie etwas zu hören war, hörte Jackie damit auf, in der Küche herumzuschnüffeln und blieb stocksteif und mit gespitzten Ohren stehen, bis das Geräusch vorüber und Charlie wieder still war.
    Einmal kam Charlie herunter, die Schuhe in der Hand, das Hemd aufgeknöpft, und ertappte Sam dabei, wie er den Umschlag der Zeitschrift küsste. Er lachte bloß, kam zu ihm herüber, schaute, was er machte, und strich Sam über den Kopf. »Das ist Ava Gardner«, sagte er. »Sie kommt auch von hier aus dem Süden, aus North Carolina. Alle Frauen dort unten sehen aus wie Ava Gardner.«
    »Stimmt nicht«, sagte Mrs. Glass, die in ihrem weißen Unterkleid in der Tür stand und rauchte.
    »Na klar tun sie das«, sagte Charlie und schnürte sich seine Schuhe. »Ich bin dort gewesen, Sylvan. Eine Ava Gardner nach der anderen. Die sind alle halb indianisch da unten. Eines Tages fahr ich mit dir dorthin. Dann wirst du es sehen.«
    »Oh, Charlie«, sagte sie und lächelte ihn lange an. »Wäre das nicht toll? Einfach göttlich?«
    Er blickte von seinen Schuhen auf, schaute sie an und
sagte, diesmal ohne zu lächeln oder zu lachen: »Na ja, ich weiß nicht, wie es für dich ist. Aber für mich wäre es kein Problem.«
    Sie hörte auf zu lächeln.
    »Ich bin nie nirgendwo gewesen«, sagte sie.
    »Nie irgendwo« , korrigierte er sie. »Nicht nie nirgendwo.«
    »Danke. Das stimmt. Ich bin nie irgendwo gewesen, bis auf diese Reise nach Hollywood, und das ist ja wohl irgendwo. Sehen konnte man nichts, ich hab nur diese Sterne im Boden vor dem chinesischen Theater gesehen, und jede Menge von dem Eisenbahnwaggon mit Boaty. Hätte so toll sein sollen. Hätte das sein sollen, was ich mir immer gewünscht habe. Aber es war überhaupt nicht so. Er grunzt wie ein Schwein und schwitzt wie ein Schwein. Ich meine, so schlimm wie beim ersten Mal war es nie wieder, aber ich wusste nie, wie es sein kann, bevor du … na ja, ich wusste nie irgendwas.«
    »Du lernst schnell, Mädchen.«
    »Schnell, schneller, am schnellsten«, sagte sie lachend.
    Man musste Sam immer sagen, was die Ausrede war, der Grund, warum es im Schlachthaus so lange dauerte, für den Fall, dass jemand fragte. Nachdem Charlie die Rinderseite zerteilt und die Stücke auf einem sauberen weißen Tuch ausgebreitet und die Zipfel fest miteinander verknotet hatte, obwohl es gar keine Fliegen mehr gab, sagte er Sam beim Einsteigen ins Führerhaus und dem Anlassen des Motors immer, warum sie so lange gebraucht hatten. Reifenpanne. Potter wieder zu spät. Motorprobleme mit dem verdammten Pick-up, aber sag nicht »verdammt«. Manchmal war es so schnell vorüber, dass sie gar keine Ausreden brauchten. Außerdem fragten seine Eltern sowieso nie. Sie sahen besorgt aus, aber sie fragten nie.

    Sie wollten es nicht wissen. Sie wussten, dass Charlie Sam hütete wie seinen Augapfel, und gingen einfach davon aus, dass sie draußen beim Jagen gewesen waren oder auf der Suche nach einem neuen Stück Land für Charlie die Zeit vergessen hatten. Sie wussten nicht, wie sie die Fragen stellen sollten, die ihnen in den Sinn kamen, und so kam es, dass sie einfach mitmachten, zu Komplizen wurden, und keiner sagte etwas.
    »Sag noch mal meinen Namen«, bat sie ihn eines Tages, als Charlie gerade sein Hemd anzog.
    »Sylvan«, antwortete er, senkte den Blick und schaute sie dann an. »Sylvan Glass.«
    »Er sagt nie meinen Namen. Ich hab ihn mir ausgedacht, weißt du.«
    »Das hab ich schon vermutet. Wie heißt du denn richtig?«
    »Ha. Das wirst du nie erfahren, Charlie Beale, nie im Leben.« Und sie lief lachend die Treppe hoch, und sie fuhren

Weitere Kostenlose Bücher