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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Goolrick
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Scharlachrot lackierte Nägel. Ein Plastikarmband, das so rot war wie die Rose an ihrem Revers.
    In der Küche war es heiß und blitzsauber, und es roch gut. Wofür auch immer Boaty Glass sein vieles Geld ausgab, für extravagante Inneneinrichtung war es nicht. Der Boden war aus einfachem getüpfelten Linoleum, auf dem Küchentisch lag eine karierte Plastiktischdecke. Zwei schlichte hochlehnige
Bauernstühle aus Eiche standen jeweils auf einer Seite, als rechnete man einfach nicht mit Gästen; weder auf dem Boden noch auf dem Tresen, letzterer aus avocadogrünem Resopal, lagen Krümel. An den Fenstern bauschten sich luftig zarte Stores, das einzige Zugeständnis an eine gemütliche Küche. An den Wänden hingen Bilder von alten Haudegen in steifer Haltung und von traurig blickenden kleinen Mädchen mit geschminkten Gesichtern und erstarrten Händen. Auch eine gerahmte Postkarte von einem großen Landhaus mit angelegtem Garten und Palmen rundum, dahinter ein großer, türkisfarbener Swimmingpool, war zu sehen  – ein Mitbringsel aus Hollywood.
    Der Raum ging in zwei weitere Zimmer über: ein Wohnzimmer voller tristem Mobiliar und ein helles Gästezimmer mit einem weiß gestrichenen Metallbett, schlicht, aber mit einer Art Gazebehang rund um das Kopfende, der mit bunten Bändern und Schleifen am Rahmen befestigt war. Neben dem Bett hing ein vergilbtes Photo in einem Silberrahmen; es zeigte eine hübsche Frau an ihrem Hochzeitstag, der offenbar schon lange zurücklag. Eine Treppe führte nach oben, zu anderen Räumen und anderen Fluren, genau wie in Sams Haus. Schlafzimmer, vermutete er.
    Sam wusste sofort, warum es in der Küche so gut roch. Sie hatte Plätzchen gebacken. Das Gebäck stapelte sich auf einem Teller mit chinesischem Muster auf dem Küchentisch, neben einem flachen Stapel Zeitschriften.
    »Sam, sei ein braver Junge und sag Hallo zu Mrs. Glass.«
    »Hallo, Ma’am.«
    »Hallo, Sam«, sagte sie, und ihm gefiel der Klang ihrer Stimme, so jung und leicht und frisch. Als wäre sie in einem schönen Garten weit, weit weg aufgewachsen. »Ich habe ein paar Sachen für dich.«

    Sam ging auf den Tisch zu. »Ich hab Nussplätzchen gebacken«, sagte sie. »Und das hier habe ich dir auch besorgt.« Sie hob eines der Heftchen hoch. »Schau mal, Comics.«
    »Ich kann noch nicht lesen. Aber fast. Meine Mama und mein Daddy lesen mir jeden Abend vor.«
    »Dann schaust du dir einfach die Bilder an und denkst dir deine eigenen Geschichten dazu aus. Schau mal, da sind Captain America und Captain Marvel, und das ist Donald Duck. Er versucht im Wasser Äpfel mit dem Mund zu fangen, aber jetzt hat ihn ein böser, alter Hummer in den Schnabel gebissen. Ist das nicht lustig?«
    Sam lachte, verstand aber eigentlich nichts. Er hatte noch nie einen ganzen Comic in der Hand gehabt, nur von ferne gesehen, im Krämerladen. Auch einen Hummer hatte er noch nie gesehen, und so begriff er nicht, was daran so lustig war. Ihm gefielen die anderen Enten auf dem Einband, die kleine Hexenhüte trugen und auf Besen ritten, weil Halloween war. Was ihn jedoch sofort anzog, war Captain Marvel Jr., ein dunkelhaariger, dunkeläugiger Junge wie Sam, nur älter, etwa vierzehn, der einen blaugoldenen Anzug und ein rotes Cape trug und starke Arme hatte. Genau wie er wollte Sam mal werden, wenn er groß war, mit einem Blitz quer über der Brust, wie er da auf einer Kiste voller Goldmünzen stand, die überall hinflogen, umgeben von wilden Piraten und im Hintergrund einem Schiff, das im Hafen lag.
    Die Bücher, die ihm seine Eltern vorlasen, waren eine ernstere Angelegenheit. Seine Mutter las ihm aus Der Wind in den Weiden vor, oder aus Mutter Gans, und sein Vater aus den Hardy Boys. Manchmal las er ihm auch aus einem wundervollen, seltsamen Buch vor, das er besaß, seit er so alt wie Sam gewesen war und das Poppy Ott’s Pedigreed Pickles hieß. Sam fuhr mit dem Finger die Zeilen nach, wenn sie
ihm vorlasen, und manchmal sprach er im Geiste auch die Wörter nach und versuchte sie sich zu merken. Er mochte Frank und Joe Hardy, ihre Kleinstadtwelt voller Gangster und Spione und Abenteuer, die es in Brownsburg niemals geben würde.
    Aber diese Comics hier waren anders, voller bunter Bilder und seltsamer, exotisch angezogener Tiere und Männern in Capes, die fast so aussahen wie ein paar Leute, die er kannte. Charlie half ihm, sich auf einen Stuhl zu setzen, und er begann, in den dünnen Seiten der Zeitschriften zu blättern, gespannt auf das, was als

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